Der dunkle Kuss der Sterne
Sklave das, was nur für die Ohren des innersten Kreises bestimmt ist?
Die Mégana schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Niemand konnte dir so nahe kommen wie dein Versprochener. Durch deine Liebe warst du für ihn eine geöffnete Tür. Er ist hindurchgegangen und hat das Kostbarste zerstört, was du hattest. Nur deshalb ist er geflohen. Alle Indizien sprechen dafür. Leider.«
Meine Fingernägel gruben sich in meine Handflächen, so fest ballte ich die Hände zu Fäusten. »Dann … müssen seine Entführer einen Weg gefunden haben, dieses Verbrechen zu begehen und falsche Fährten zu legen. Warum sollte Tian mir so etwas Grässliches antun?«
Die Mégana hob in einer bedauernden Geste die Schultern.
Jetzt verstand ich zumindest, was zu meinem Schuldspruch geführt hatte: Es war ein gerichtlicher Vergleich, ein Handel. Wir waren keine Barbaren und es gab längst keine Blutrache und keine Sippenhaft mehr. Solange ich offiziell selbst die Schuld an dem Verlust meines Glanzes trug, würde man Tian und die Labranakos nicht zur Rechenschaft ziehen. Dazu war die Machtbalance zu kostbar, gerade jetzt, in den Zeiten, in denen das Verhältnis der Mächtigen angespannt war und Bündnisse wichtiger denn je. Die Tatsache, dass die Labranakos für mein Leben im Haus der Verwaisten zahlten, war nur der geringste Teil der Buße. Es würde sie Generationen kosten, für dieses vermeintliche Verbrechen ihres Sohnes zu sühnen. Und meine Familie würde sie nicht billig davonkommen lassen.
Eine Moreno weint nicht , hörte ich meine Mutter sagen. Aber diesmal nützte das Gebet unserer Familie nicht.
Die Mégana hob ihre knochige Greisenhand und strich mir mit einer liebevollen Geste eine Träne von der Wange. Ich konnte die alte kreisrunde Brandnarbe auf ihrem Handteller sehen, niemand wusste genau, woher die Verletzung stammte. Normalerweise verbarg sie diesen Makel unter Handschuhen. »Ach, Kind«, sagte sie mit zärtlichem Bedauern. »Ich weiß, die Wahrheit ist grausam. Und ich verstehe dich besser, als du denkst, denn auch ich habe geliebt, als ich jung war, mit ganzem Herzen.« Ich wunderte mich über den bitteren Klang in ihrer Stimme. Natürlich sprach sie vom Mégan, auch wenn es schwer vorstellbar war, dass das Herrscherpaar irgendwann einmal jung gewesen war. Und es war zumindest nicht offiziell bekannt, dass sie sich auch in Liebe gefunden hatten.
Aus dem Augenwinkel fiel mir auf, wie der Jäger hastig den Blick abwandte und verharrte, angespannt, wie versteinert, doch innerlich vibrierend von einem Zorn, den er zu verbergen suchte.
»Aber wir verstehen nicht immer, was diejenigen, die wir lieben, tun«, fuhr die Mégana mit harter Stimme fort. »Vor allem nicht in eurem Alter.«
Ich schüttelte heftig den Kopf. »Lasst mich gehen, ich bitte Euch!«
»Du glaubst immer noch an ihn?«
Ich hielt ihrem Blick stand, wütend, verzweifelt, aber so entschlossen, dass sie erstaunt die Brauen hob. Die Flammen flackerten und irrlichterten als zuckende Goldpunkte in ihren Augen. Und plötzlich lachte sie auf. »Du ahnst ja nicht, wie sehr du mich an mich selbst erinnerst! Na schön, Canda Moreno: Mach mir ein Angebot! Was bekomme ich, wenn ich einfach wieder gehe und vergesse, mit dir gesprochen zu haben?«
Nur zu gern hätte ich mich jetzt irgendwo abgestützt, so weich wurden meine Knie. Sie dachte tatsächlich darüber nach!
Irgendwo echote ein Knarren, eine zweite Klapptür am Ende des Raums öffnete sich. Fackelschein zeichnete eine Treppe aus dem Schatten.
»Höchste Herrin!«, mahnte ein Wächter.
»Meine Zeit läuft ab«, sagte die Mégana. »Also?«
Endlich fand ich meine Stimme wieder. »Ihr bekommt den Beweis für Tians Unschuld.«
»Das ist alles?«
»Und ich bringe euch die Antwort, was wirklich mit meinem vierten Licht geschehen ist. Wie es sein konnte, dass es zerstört wurde. Und Tian wird zurückkehren und seinen Platz in der Stadt einnehmen. Ein Sohn Ghans wird nicht verloren sein.«
»Aber was wirst du tun, wenn du herausfindest, dass Tian so schuldig ist, wie wir glauben?«
Alles in mir sträubte sich dagegen, es auszusprechen. Du musst! , drängte meine kluge Stimme. Es ist der einzige Weg hinaus. Sonst wird ihr Bluthund dich in deinen Kerker zurückschleppen.
»Dann bringe ich ihn zurück, damit er vor Gericht gestellt wird.«
Endlich nickte die Mégana. »So kommen wir ins Geschäft. Deinen Dolch!«
Wieder war ich irritiert, weil sie mich bei diesem Befehl ansah – aber auch diesmal reagierte
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