Der dunkle Kuss der Sterne
allein gehen, Höchste Mutter! Nicht mit ihm, nicht mit Amadar …«
»Fordere meine Geduld nicht heraus. Amadar ist unser bester Fährtensucher und der treueste Sklave, den wir haben.«
»Er … er benimmt sich nicht wie ein Sklave, am allerwenigsten mir gegenüber. Ich kann ihm nicht trauen!«
Sie lächelte schmal, ohne einen Funken Wärme. »Er ist der Einzige, dem du trauen kannst, und er wird dir gehorchen, weil ich es ihm befehle. Jeder Tropfen seines Blutes ist an uns verschuldet. Und glaube mir: Du brauchst ihn. Nur er kann einen Menschen aufspüren, der nicht gefunden werden will. Ob es dir gefällt oder nicht – ohne ihn setzt du keinen Fuß aus der Stadt.«
»Aber der Mégan, Höchste Mutter«, beharrte ich. »Ihr seid eine Zweiheit, Ihr könnt solche Entscheidungen doch nicht allein treffen!«
Dieser Einwand schien sie zu amüsieren. »Kann ich nicht? Nun, manchmal tue ich es einfach. Du würdest es verstehen, wenn du so lange eine Zweiheit wärst wie der Mégan und ich.« Sie trat näher zu mir, so nah, dass der Lilienduft mir fast Übelkeit verursachte. »Du magst viel verloren haben, aber du bist immer noch eine Tochter Ghans und wirst es immer sein. Du glaubst an unsere Gesetze, deren Teil du immer noch bist. Und ich weiß, du wirst alles dafür geben, dich deines Standes und der Stadt wieder würdig zu erweisen. Dann wirst du nie wieder in das Haus der Verwaisten zurückkehren müssen. Dafür werde ich sorgen. Das ist mein Versprechen.« Ich musste schlucken. Sie war wirklich wie das Feuer. Weich, nicht fassbar, doch was sie berührte, veränderte sich für immer oder flammte in neuer Hoffnung auf. Als sie nun zu mir trat und mir ihre Hand auf die Wange legte, war es, als würde mich diese Geste mit Sehnsucht versengen, so sehr wünschte ich mir trotz allem, keine Ausgestoßene mehr zu sein. »Ich warte auf dich, Tochter.« Es war verrückt, aber trotz allem gab es immer noch einen Teil in mir, der erleichtert war, dass es immer noch ein Oben und Unten gab und dass die Gesetze meiner Welt noch galten – sogar für einen gefallenen Stern wie mich. »Und jetzt versprich mir, dass du dich an unseren Pakt hältst.«
»Ich habe euch doch bereits mein Wort gegeben!«
Sie lächelte wieder ihr schmales, eingefallenes Altfrauenlächeln. Ich sah jedes Fältchen, jede Verwüstung, die das Alter in ihrem Gesicht angerichtet hatte. Aber dahinter glaubte ich das kämpferische, listige Mädchen hindurchschimmern zu sehen, das sie lange vor meiner Geburt gewesen war.
»Worte sind doch nur Wind und Tinte nur gefärbtes Wasser.« Sie streckte mir die Hand hin. An ihrem Zeigefinger glänzte ein Silberring in Form einer Schlange, die sich in drei Windungen um den Finger schloss. »Gib mir ein richtiges Versprechen!«
Ihre zerbrechlichen Finger schlossen sich sanft um meine, eine Berührung, die mich mit Scheu und Unbehagen erfüllte. Plötzlich drückte sie zu. Ein Stechen durchfuhr meine Hand. Erschrocken entriss ich ihr die Rechte und starrte auf meinen Handteller – Blut quoll aus einem Stich und wurde zu einem Strom auf meiner blau gefärbten Haut. Das Rot verästelte sich in den Linien meiner Hand und in den gerade erst verheilenden Schnitten, die ich vor Gericht unter den Handschuhen verborgen hatte. Wie ein Stammbaum , dachte ich benommen. Aber was hätte meine Urahnin, Tana Blauhand, dazu gesagt, mich hier zu sehen?
»Diesen Ring habe ich von meiner Großmutter geerbt.« Die Mégana zeigte mir, dass der silberne Schwanz der Ringschlange in einer scharfen Spitze endete. »Und sie hatte ihn von ihrem Großvater bekommen. Er erinnert mich daran, nicht zu vergessen, was ein Versprechen wirklich ist. In grauer Vorzeit haben wir keine Verträge aufgesetzt. Unsere Unterschrift war unser Blut, unser Leben. Wenn du dein Versprechen wirklich ernst meinst, lösche die Flamme damit!«
Aus schmalen Augen beobachtete sie mich und diesmal erinnerte das Lauernde in ihrem Blick mich an ihren Mann. Stein und Feuer , dachte ich. Lava, die alles versengt.
Unsere Ahnen wussten offenbar viel über die Herzen von Lügnern. Es war einfacher, viel einfacher mit Worten. Aber irgendwo dort draußen war Tian, sein Leben in meiner Hand. Und hier, auf der anderen Seite, gab es nur ein Mädchen mit leerem Blick, gefangen unter Glas. Du wirst einen Weg finden , flüsterte es in mir. Du wirst den Sklaven loswerden, und niemand kann dich zwingen, den Dolch gegen Tian zu erheben.
Und während ich langsam die Hand über die Kerze
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