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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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streckte, gab ich mir auch selbst ein heimliches Versprechen: Was auch geschah, niemals, das schwor ich mir, würde dieser Dolch Tians Haut auch nur berühren. Die aufsteigende Hitze umfloss meine Faust. Blut sammelte sich in einem immer größer werdenden Tropfen an meinem kleinen Finger – und fiel. Der Docht fauchte auf, Dunkelheit fiel über uns wie ein schwarzes Fangtuch.
    »Gut«, sagte die Mégana. »Dann viel Glück, Tochter Ghans. Geh und komme bald zurück. Und denke daran: Deine vierte Gabe wurde zerstört, das macht deinen Geist verwundbar. Also hüte dich vor deinen Träumen. Sie sind das erste Zeichen, dass du den Verstand verlierst.«

Bisher waren Träume wie Schatten gewesen, die ich noch im Schlaf von mir schieben konnte, so, wie ich es als Kind gelernt hatte. Niemals hatten Ärzte mir viele Schlafmittel geben müssen. Träume waren für mich flirrende, verrückte Bilder ohne Bedeutung, Echos des Tages. Aber diesmal drängte diese Scheinwelt mit solcher Wucht in meine Seele, dass ich mitten im Traum hochschrak. Vor mir schwebte noch das Traumbild: ein schmaler, hübscher Junge, vielleicht dreizehn Jahre alt, mit blondem Haar und fast goldenen Bernsteinaugen. Er wirkte verzweifelt, blass, wie verwundet. Aber er war weit fort von mir, wie hinter milchigem Glas gefangen. Ich kannte ihn nicht, und dennoch kam er mir auf seltsame Weise vertraut vor – ich suchte nach diesem Bezug, so wie man einen Namen sucht, der einem auf der Zunge liegt, aber ich fand ihn nicht. Der Junge rief mir etwas zu. Nein, er rief nicht, er … bellte?
    Ich blinzelte mit sandverklebten Wimpern. Im Schein einer Taschenlampe blitzten gelbe Zähne auf. Ein halb blinder alter Hund bellte mich an. Seine Augen waren matte, verschleierte Scheiben. Kalter Kerzenrauch lag in der Luft und vor mir stand Amadar, den Hund an der Leine.
    »Wir müssen aufbrechen. Hier!«
    Zusammengeknüllter Stoff traf mich. Geruch nach fremder, ungewaschener Haut stieg mir in die Nase. Es musste einige Zeit vergangen sein, seit ich an die Wand gelehnt eingeschlafen war. Der Saft der Farin-Früchte war getrocknet, meine Kleidung umgab mich wie ein Panzer aus steif gewordenem Stoff.
    »Steh auf, Prinzessin! Wir haben nicht viel Zeit.«
    »Nenn mich nicht Prinzessin.«
    »Herrin werde ich dich jedenfalls nicht nennen«, gab er ebenso barsch zurück. Der Hund begann zu knurren, als wäre die Abneigung zwischen uns ein elektrisches Feld. Für einen irrealen Moment bildete ich mir ein, dass Amadar und der feindselige Hund ein einziges Wesen waren. Wieder fühlte ich diese Kälte und Gefahr, die von Amadar ausging, und ich hasste es, dass mein Herz wieder zu flattern begann und ich am liebsten geflohen wäre. Ich muss ihn loswerden . Ich muss ihm davonlaufen – sobald ich kann. Er darf Tian nicht vor mir finden. Aber mit den Hunden konnte es schwierig werden.
    »Ich dachte, du bist der beste Sucher der Méganes?«, bemerkte ich. »Wozu brauchst du dann die Hilfe eines alten Hundes?«
    »Die Hunde wittern die Wüstenlöwen. Und im Notfall sorgen sie dafür, dass wir nicht verhungern.«
    »Ach? Du willst mich zwingen, Hunde zu essen?«
    »Kommt darauf an, wie lange du durchhältst.« Mit einem Kinnrucken deutete er auf meinen Knöchel. »Pausen können wir uns nämlich nicht leisten. Dein Liebster hat einen Vorsprung.«
    Ich biss die Zähne zusammen und schob mich an der Wand hoch. Jeder Muskel tat weh, aber der Knöchel war nicht mehr so stark geschwollen. Ich konnte ziemlich gut auftreten. Also nickte ich.
    »Und kannst du reiten?«
    »Das wäre ja wohl sinnlos«, erwiderte ich kühl. »Die Jagd gehört nicht zu meinen Gaben.«
    »Da ist Tian dir gegenüber also im Vorteil.«
    Amadar hatte also Erkundungen eingeholt. Tians hellstes Licht war der weite Blick des Eroberers. Er erfasste Gebiete und Grenzen auf den Landkarten so intuitiv wie ich die Zahlen. Und einige hatte er sogar selbst ausgelotet: Seine Eltern hatten viel Geld für die Lizenz bezahlt, die es ihm erlaubte, ein paarmal im Jahr die Stadt zu verlassen und mit anderen Hohen auf die Jagd zu gehen. »Ja, er kann reiten.«
    »Dann wirst du es auch lernen müssen. Da drüben steht ein Eimer mit Wasser zum Waschen. Die Kleidung sollte dir passen.«
    Voller Ekel betrachtete ich das Kleiderbündel zu meinen Füßen. Der helle Stoff war an einigen Stellen gelblich und verschlissen und – das Schlimmste – er roch speckig, nach Tierfell und fremder, verschwitzter Haut.
    »Ich will frische Kleidung. Die

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