Der dunkle Kuss der Sterne
der Sklave. Er schüttelte den Kopf. »Das ist keine Waffe für …«
Die Mégana unterbrach ihn mit einer warnenden Geste. Diesmal, das spürte ich, würde es keine leere Drohung sein, ihn zu bestrafen. Die Adern an seiner Stirn traten hervor, aber er zog in widerstrebendem Gehorsam eine schmale Waffe hervor. Und am liebsten würde er der Mégana damit die Kehle durchschneiden.
»Gib ihr die Waffe!«, befahl die Herrscherin.
Seine Lippen waren ein schmaler Strich, als er auf mich zutrat. Einen Augenblick lang hatte ich Angst, dass er mich angreifen würde, aber er hielt mir die Waffe hin und ich ergriff sie zögernd. Obwohl er sie in der Hand gehalten hatte, war der Griff kalt. Er bestand komplett aus einem schwarzen Material, glatt wie Elfenbein, aber er war viel leichter. Die Klinge war matt, schon im Halbdunkel war sie kaum zu erkennen. Der Dolch eines Attentäters , dachte ich mit einem Schaudern, unsichtbar im Dunkeln, verrät sich nicht durch das Glänzen der Klinge . Meine Finger kribbelten, am liebsten hätte ich die Waffe fortgeschleudert.
»Der Dolch ist nur ein Geschenk auf Zeit«, sagte die Mégana. »Du versprichst mir, dass du ihn mir wiederbringst. Versprich mir außerdem, dass du mir nach deiner Rückkehr mit deinen verbliebenen Talenten dienen wirst. Nur mir. Solange ich es will. Bedingungslos. Das ist mein Preis. Und …« Sie senkte die Stimme, »… wenn Tian schuldig ist, wirst du es sein, die ihn mit diesem Dolch töten wird.«
Ich hatte mich getäuscht, als ich die alte Frau für den weicheren, freundlicheren Teil der Höchsten Zweiheit hielt. Der Mégan war in seiner Härte berechenbar, seine Frau dagegen hatte zwei Seiten, das erkannte ich jetzt. Die der gütigen, gebrechlichen Greisin – und das Feuer, das jeden zu Asche verbrannte, der sich ihm in den Weg stellte.
»Blut um Blut, so fordert es unser Gesetz«, fügte sie hinzu. »Ohne dieses Versprechen und die Zusage, dass deine Gaben in Zukunft nur mir dienen, lasse ich dich nicht gehen.«
Ich hatte einen gefährlichen Weg beschritten. Was, wenn …, flüsterte es in meinem Kopf. Wenn ich ihn finde und zurückbringe und ihn doch nicht mehr lieben darf? Was, wenn ich seine Unschuld nicht beweisen kann, weil seine Entführer zu klug sind, um Beweise zu hinterlassen?
Es war, als würde ich über den Glasboden balancieren, der unter mir knackte, kurz davor, zu brechen.
Jedes Wenn gehört dem Morgen, antwortete die vernünftige Gedankenstimme. Hier geht es um das Jetzt – und um dich. Und du musst jetzt erst einmal raus aus der Stadt!
Wie heute im Gerichtssaal machte ich innerlich wieder einen Schritt zur Seite, in einen geheimen Mörderwinkel, der nur mir gehörte. »Ich gebe Euch mein Wort darauf!«
Es war verrückt. Ich, Canda Moreno, einstige Hoffnung Ghans, spielte ein doppeltes Spiel mit der Herrscherin. Ich versuchte nicht auf Amadar zu achten. Wieder hatte ich das unbehagliche Gefühl, dass er durch mich hindurchsah, in jeden Winkel, sogar dorthin, wo die Lügen sich zusammenkauerten.
Aber die Mégana nickte. »Dann ist es abgemacht, Canda. Amadar, du stehst dafür ein, dass sie zurückkommt. Stirbt sie da draußen, dann stirbst du auch. Und für dich wird es weitaus unangenehmer sein.«
Unter anderen Umständen wäre es eine Genugtuung gewesen, zu sehen, wie seine arrogante Maske in Fassungslosigkeit und Empörung zerfiel. Aber im Moment hatte ich viel zu sehr damit zu kämpfen, nicht selbst den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wie dumm war ich gewesen zu denken, dass sie mich allein gehen ließ.
Amadar schüttelte den Kopf. »Ich unterstehe dem Mégan – und er wird es niemals dulden!«
Nie hätte ich der alten Frau so viel Schnelligkeit zugetraut. Sie schoss herum wie eine Schlange. Ich erschrak vor dem Hass in ihrer Miene. »Mach nicht den Fehler, mir noch einmal zu widersprechen«, sagte sie gefährlich leise. »Und jetzt verschwinde.«
Was hat er getan, dass sie ihn so sehr verachtet?
Amadars und mein Blick trafen sich, und seltsamerweise fühlte ich mich, als säßen wir beide in derselben Falle. Seine Kiefer mahlten und das Licht der Kerze ließ die Schatten auf seinem Gesicht tief und ihn noch hässlicher wirken. Er fluchte mit zusammengebissenen Zähnen, drehte sich auf dem Absatz um und ging mit großen Schritten zur Treppe. Sein Schatten flackerte über die Wand, dann fiel die Tür zu. Die Herrscherin und ich blieben im Schein der Kerze zurück.
Endlich fand ich meine Sprache wieder. »Lasst mich
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