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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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es, rostige Mechanik setzte sich in Gang. Ein fernes Grollen ertönte, Plätschern – und dann veränderte sich die Wand vor meinen Augen. Dunkle Schlieren erschienen darauf, wuchsen wie Anthrazitfinger in Richtung Boden. Es gurgelte und stank nach uralter Fäulnis, kalte, schlammige Nässe füllte das Becken und kroch zwischen meine Zehen. Erschrocken kletterte ich auf den Brunnenrand.
    Schwall um Schwall spuckte die Wand das schmutzige Wasser aus, das Rinnsal strömte durch alte Ritzen und Bruchkanten wie aus einem Leck, es kroch durch den Zerfall, spülte Mörtel davon, wurde schließlich klarer. Ich hatte wohl eine alte Wasserleitung erwischt, vielleicht hatte ich mit dem Stein ein Ventil zerschlagen. Ich holte Luft und erhob mich, wankte zu der Mondscheibe, suchte nach der Gegenwart, die spürbar wie ein Atemhauch war, zum Greifen nah.
    »Smila?« Juniper tauchte am Fenster auf. »Spinnst du, hier reinzuklettern? Hast du das weiße Kreuz nicht gesehen und …« Dann klappte ihr vor Verblüffung der Mund auf. Jetzt vergaß auch sie alle Vorsicht. Blitzschnell kletterte sie ins Zimmer und huschte an der Wand entlang. In der nächsten Sekunde schöpfte sie sich schon Wasser ins Gesicht. »Wahnsinn!«, rief sie aus. »Eiskalt – das ist eine Leitung zu einer Bergquelle. Und ich dachte, wir hätten alle Wasserleitungen freigelegt. Wie zum Henker hast du diesen fließenden Schatz gefunden? Hast du einer Wassernymphe ein Lebensjahr verkauft?«
    Ich schluckte und fand mühsam meine Fassung wieder. »Ich … dachte, ich hätte den Hund bellen gehört. Und dann habe ich den Smaragd entdeckt und bin reingeklettert. Ich wollte ihn aus der Wand schlagen – und dabei kam plötzlich Wasser.« Dafür, dass ich kein Talent fürs Lügen hatte, war es nicht die schlechteste Erklärung.
    »Dann bist du also nur vom Glück geküsst.« Juniper stieg lachend in das Becken, das bereits bis zum Rand gefüllt war. Blätter und Schlammwasser schwappten über den Rand. Sie watete zum Spiegel und zog einen Metallhaken aus einer ihrer Taschen. »Nein!«, schrie ich entsetzt, aber sie hatte schon ausgeholt und die Spitze in das Smaragdauge geschlagen. Es war, als müsste ich beobachten, wie ein Mensch verletzt wird. Es knirschte hässlich, als Juniper den Edelstein aus dem zerstörten Bild hebelte. »Was soll das Geschrei?«, sagte sie. »Keine Sorge, der Stein ist heil. Hier, bei uns gehört jedem das, was er findet.« Ich fing die kleine Smaragdscheibe auf, sie war flach geschliffen und nur so groß wie eine Iris. Das Fresko war nicht nur blind geworden, es hatte kein Leben mehr, war nur noch eine Fläche aus farbigen Strichen und Formen. Wasser rann aus dem Schlagloch, löste den Putz und begann das Bild endgültig zu zerstören. Jede Verbindung war abgerissen. Ich fühlte mich so beraubt, als hätte Juniper das Mädchen verjagt und mir eine Antwort gestohlen, die ich beinahe bekommen hätte.
    »Komm! Runter mit dem Staub!«, rief Juniper. Sie packte mich an der Weste und riss mich einfach ins Becken. Sandiges Wasser und nasses Laub fingen sich in meinem Mund, empört tauchte ich wieder auf, hustend und spuckend. Sandwolken bauschten sich im Wasser – der letzte Gruß der Wüste. Wasser rann zwischen meine Lippen, fand meine Zunge. Und dann konnte ich auch nicht mehr widerstehen. Ich schöpfte das eisige Nass von der Wand und trank in gierigen Zügen, obwohl die Kälte an den Zähnen schmerzte. Nach den Tagen in der Wüste war ich vertrocknet wie eine Wüstenmumie, aber mit jedem Schluck strömte wieder Leben in meinen Körper. Eine Bewegung ließ mich zurückprallen. Der Mond war ein alter fleckiger Spiegel. Das Wasser hatte ihn freigespült, und obwohl ein Spinnennetz aus Rissen den Einschlag meines Steines umgab, sah ich mich selbst. Es war ein Schock, schlimmer noch als der am Morgen meines Hochzeitstages. Die Haut war schmutzig braunschwarz, gestreift von Schmutzschlieren und den Resten der Farbe, die die Hundemagd mir ins Gesicht gerieben hatte. Die schrägen Wüstenaugen hatten rote Ränder und stachen viel zu weiß und zu groß aus der Fratze hervor. In wirren, verfilzten Büscheln klebte das Haar an Hals und Schultern. Aber als ich fassungslos den Kopf schüttelte, tat das Wesen es mir nach. Jetzt war ich nur noch wütend auf mein Schicksal. Ich steckte den Smaragd ein, schälte mir die nasse Weste vom Körper und schrubbte mir damit den Schmutz vom Gesicht und den Händen.
    Juniper betrachtete mich im Spiegel. Das

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