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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Splitternetz erzeugte die Illusion, dass sie fünf Augen hatte, die mich alle fragend musterten.
    »Besser?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Nein! Es wird nie wieder gut.«
    »Dachte ich mir. Was ist nur mit dir passiert? Verrätst du mir, warum ihr beide auf der Flucht seid?«
    »Wie kommst du darauf?«
    Behutsam umfasste sie mein Handgelenk und schob meinen nassen Ärmel nach oben. »Das sind doch Fesselspuren. Hat man euer Dorf überfallen und wollte euch als Sklaven verschleppen?«
    »Nein. Das war nur Amads Seil, es hat mich im Sturm vor dem Absturz gerettet.«
    »Und das hier?« Sie drehte meine Handfläche zum Spiegel. »Schnitte von Scherben. Und auf dem Handteller hast du einen kaum verheilten Stich. Hast du versucht, ein Messer abzuwehren? Und auch dein Bruder hat Kratzer an den Armen.«
    Der Boden unter mir schien nun wirklich brüchig zu werden. Und noch etwas beunruhigte mich. Die letzten Reste der blauen Farbe hatte ich eben von den Händen gewaschen, aber die Schnitte und die Stichwunde hatten das Blau für immer angenommen – hässliche Tätowierungen. Das Versprechen an die Mégana, unwiderruflich in meiner Haut festgeschrieben.
    »Und was ist mit der Farbe?«, sagte Juniper, als hätte sie meine Gedanken gehört. »Blau ist die Farbe der Traumdeuter. Aber wie kommst du dazu?«
    Ich entzog ihr meine Hand, drückte die Fäuste in meine Achselhöhlen. »Frag besser Amad, wenn du etwas über uns wissen willst. Er gefällt dir doch – so hast du Gelegenheit, mit ihm zu reden.«
    Eine Splitterkante verdoppelte Junipers Spiegellächeln. »Weißt du, genau das mag ich an dir: Du bist stachelig wie eine Bergdistel und verstellst dich nicht, ob aus Arroganz oder Dummheit, weiß ich noch nicht. Umso mehr will ich wissen, wer du wirklich bist, Rätselmädchen. Das Komische ist, Amad glaube ich jedes Wort, das er sagt. Aber dir nicht. Keine Wüstenfrau läuft mit langen Haaren herum, das weiß sogar ein Bergolm wie ich.«
    »Denk, was du willst.«
    Juniper lachte ohne jeden Groll. »Na schön, jedem seine Wahrheit. Aber nur so als Hinweis: Menschen wegzustoßen, lockt sie nur zurück zu dir. Wenn ich wollte, dass du mir glaubst, ohne weiterzufragen, würde ich dich füttern und dich nicht vom Napf wegbeißen. Ich wäre freundlich zu dir, ich würde deinen Blick suchen, statt ihm auszuweichen. Ich würde nicht auf Fragen warten, sondern als Erste sprechen und dir erzählen, was du hören willst.« Sie hob die Hand und strich mir sanft eine Locke hinter das Ohr. Trotz allem tat mir die Berührung wohl, und für einen Moment wünschte ich mir nichts so sehr, als ihr alles erzählen zu können. »Und ich würde dir nahekommen«, sagte sie sanft. »Ich wäre weich und distanzlos wie das Wasser, wie zufällig würde ich deine Hand berühren, während ich erzähle, deine Schläfe mit den Lippen streifen, wenn du zweifelst, dich umarmen. Berührungen sind wie Wellen, die die Vernunft ertränken. Und nichts beruhigt Menschen mehr, als wenn du ihr Herz dazu bringst, ihr Misstrauen zu übertönen.«
    »Was soll das sein? Eine Lektion im Lügen?«
    Juniper zwinkerte mir verschmitzt zu. »Eher eine Lektion, wie Menschen ticken. Vielleicht kannst du sie ja gebrauchen, Distelzunge. Du verlässt dich nämlich zu sehr auf deinen Bruder, aber manchmal ist es klüger, selbst zu wissen, wie man mit Menschen umgeht, die viel zu neugierig sind – so wie ich.«
    Sie watete aus dem Becken und hangelte sich zu dem Fenster. Ich folgte ihr nicht sofort. Das Abendlicht wechselte schon von Rot zu einem matten Zwielicht. Immer noch spülte das Wasser Fetzen von Putz von den Wänden. Das Mädchen mit den Smaragdaugen war ausgelöscht. Aber mein fremdes Spiegelbild starrte mich an, bleich und verzweifelt, mit Augen voller Sehnsucht. Wer du wirklich bist. Junipers Worte hallten in mir nach. Ich schnaubte und griff zu meinem Dolch. Nun, wie eine Moreno sah ich wirklich nicht mehr aus. Aber die jämmerliche Gestalt im Spiegel würde ich keine Sekunde länger sein.

Auf einen Blick erfasste ich, dass dreiunddreißig Fischer in dem Lagerraum versammelt waren. Alles wurde für die Abreise am nächsten Morgen vorbereitet: Netze wurden geflickt und Harpunen mit Drahtschlingen zu Bündeln zusammengezurrt. Aber alle hörten mit ihrer Arbeit auf und wandten sich mir zu, als ich mit Juniper und dem Hund den Lagerraum betrat. Es war wie ein Abglanz der alten Zeiten, als die Gewöhnlichen meiner bloßen Gegenwart so wenig widerstehen konnten wie Motten

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