Der dunkle Kuss der Sterne
Antwort war. »Ja, in unserer Gegend gibt es viele Sandvipern.« Und weil das offensichtlich nicht reichte, fügte ich auf gut Glück hinzu: »Amad kennt sich mit Hunden aus.« Was ja nicht gelogen ist.
Juniper legte den Kopf schief und verschränkte die Arme. »Nur mit Hunden?«, fragte sie listig.
»Was meinst du?«
Sie grinste. »Bist du blind, weil er dein Bruder ist? Ich habe selten einen so gut aussehenden Kerl wie ihn gesehen. Er hat einen schönen, schweigsamen Mund, der trotzdem viel erzählt. Auch von Leid und Schmerz. Aber ich wette, wenn er mal lächelt, rennen ihm nicht nur die Vierbeiner nach. Küsst er gut?«
Mir schoss das Blut in die Wangen. »Ich … woher soll ich das wissen? Ich bin seine Schwester.«
»Na und? Er wird doch wohl schon ein paar deiner Freundinnen geküsst haben – und sag mir jetzt nur nicht, dass die Mädchen in eurem Dorf nicht über so etwas reden.«
Darauf fiel mir keine Antwort ein. Juniper war anders als alle Frauen, die ich kannte, es schien, als würde sie in sich selbst schweben, losgelöst, ohne die Sicherheit von Regeln und Gesetzen, die ihr ihren Platz in der Welt gaben.
»Bei uns sind eben andere Dinge üblich als bei euch.« Ich hoffte, das würde das Thema beenden – aber Juniper war keine meiner Dienerinnen, die ich mit einem Stirnrunzeln oder einem tadelnden Blick zum Schweigen bringen konnte. Ihre Neugier flammte jetzt erst richtig auf.
»Sag schon, hat Amad eine Freundin? Oder«, ihre Augen bekamen einen schelmischen Glanz, »ist es mehr als eine?«
Chaos , dachte ich entsetzt. Wie kann sie als Unvollständige ohne Ordnung leben, ohne verrückt zu werden?
»Warum fragst du ihn nicht selbst?«
»Du meinst, es geht mich nichts an, ja? Keine Sorge, ich komme ihm schon nicht zu nahe. Sonst verprügelst du mich noch.« Sie deutete feixend auf den Stock, den ich umklammerte, als wollte ich mich gegen einen Angriff schützen. »Du bist gar nicht so harmlos, wie du tust«, stellte sie fest. »Und eifersüchtig bist du auch.«
Hastig senkte ich das Holz. »Warum sollte ich eifersüchtig sein? Und was meinen Bruder angeht, ja er hat … ein Mädchen.«
»Und du hast auch jemanden?«
»Ja«, erwiderte ich aus vollem Herzen. »Wir sind einander versprochen. Von Geburt an. Und wir bleiben bis zum Tod verbunden.«
»Klingt ja nach einer Menge Spaß«, sagte Juniper trocken. »Meine Güte, ihr müsst ja vor Langeweile dahinsiechen wie eure Ziegen bei Dürre!«
Ich holte schon Luft für eine empörte Erwiderung, aber dann wurde mir bewusst, was ich hier versuchte: einer Frau, die keine Zweiheit kannte, das Wesen der Liebe zu erklären.
Juniper lachte. »Schau mich nicht an, als wolltest du mich fressen! War doch nur ein Witz! Ganz schön schnell gekränkt bist du.« Sie schlug mir freundschaftlich auf die Schulter. »Ich wollte dich nicht beleidigen. Für mich wäre so ein Bund aus Eisen und Stein ja nichts, aber jeder, wie er mag und wie es ihn glücklich macht. Also, sind wir wieder Freunde?«
Es war seltsam: Juniper war fremdartig und laut und schüchterte mich mit ihrer Respektlosigkeit und ihrem rauen Lachen ein – und trotzdem nickte ich zögernd.
»Freunde«, sagte ich leise. Und obwohl Anib und Zabina entsetzt gewesen wären, fühlte es sich nicht nach einer Lüge an. Juniper begann zu strahlen. »Du bist komisch, weißt du?«, rief sie gut gelaunt. »Aber du gefällst mir. Komm mit! Ich muss noch zu den Vogelfallen.«
*
Es war unwirklich, mit klopfendem Herzen durch dieses Relikt lang vergangener Dynastien zu wandern. Der Verfall schluckte jedes Echo, das früher die Gänge durchwandert hatte. Die Architektur dieses Schneckenhauslabyrinths hatte keine Ähnlichkeit mit den klar strukturierten Gemächern Ghans. Die Flure und Wege, die von Stockwerk zu Stockwerk führten, waren treppenlose gebogene Spiralen. Und trotzdem kam es mir mit jedem Schritt so vor, als hätte ich diese Flure schon einmal durchwandert. Kein Zirkel, keine Kurve war Augenmaß, alles ließ sich in Formeln und Amplituden zergliedern, die sich in bestechender Logik vor mir auffächerten wie wunderschöne, fragile Gebilde aus Gleichungen und Zahlen.
»Warte hier!« Juniper blieb vor einem Giebelfenster stehen und kletterte hinaus. Der Hund bellte auf – dann fegte er davon, vermutlich auf der Spur einer Schlange. Ich blieb zurück, mit dem flauen Gefühl, Schritte und Atemzüge wahrzunehmen, die längst Vergangenheit waren. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich mir einbilden,
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