Der dunkle Punkt
»Ist das etwa wieder dieser Detektiv?«
»Stimmt«, erwiderte ich.
»Was wollen Sie eigentlich hier?«
»Sie wissen genau, was ich will. Ich ...«
»Was ist los?« flüsterte Edna erschrocken, als ich plötzlich verstummte.
»Regen Sie sich nicht auf«, antwortete ich ruhig. »Ich habe befürchtet, daß er Ihnen folgen würde.«
Vom Korridor her waren Schritte zu hören, langsam und gleichmäßig, erbarmungslos und kaltblütig wie die Schritte eines Henkers, der einen Häftling zum letzten Gang abholt. Ich tastete mich zur Tür zurück und stolperte dabei über eine Fußbank. Die Schritte waren nun ganz nahe und klangen nicht mehr so regelmäßig. Man vernahm ein leichtes Hinken heraus.
Der Mann erreichte die Tür vor mir. Er hatte den Kragen seines Mantels hochgeschlagen und seinen Hut tief ins Gesicht gezogen. Seine Gestalt war nur mittelgroß und schlank. Roberta Fenn schrie entsetzt auf.
Er begann zu schießen, bevor ich nahe genug an ihn herangekommen war, um ihn daran zu hindern. Zuerst feuerte er auf Roberta. Dann richtete er den Revolver auf Edna. Aber ich hatte mich inzwischen an ihn herangearbeitet, und ihm wurde klar, daß ich der gefährlichere Gegner war. Er schwenkte das Schießeisen herum und drückte ab. Ich horte ein ohrenbetäubendes Dröhnen und spürte einen feurigen Lufthauch im Gesicht. Er hatte mich verfehlt. Mit einem Satz sprang ich nach vorn und umklammerte die Hand, in der er die Waffe hielt.
Jetzt machten sich meine einstigen Judoübungen bezahlt. Ich wirbelte herum, ohne seinen Arm loszulassen, beugte mich unvermittelt vor und schleuderte ihn mit aller Kraft über meine Schulter hinweg ins Zimmer.
Im Korridor war es laut geworden. Frauen kreischten, Türen knallten, eilige Schritte klapperten über die Steinfliesen. Roberta weinte leise vor sich hin, und Edna Cutler fluchte.
Als der Mann über meinen Kopf hinwegsauste, glitt der Revolver aus seinen kraftlosen Fingern in meine Hand. Ich lief zum Fenster, beugte mich hinaus und starrte angestrengt auf die dunkle Straße hinunter. Von fern drang das Heulen einer Sirene herüber.
Die Gestalt auf dem Fußboden regte sich nicht. Der weiche Filzhut war, zwei Meter von dem gekrümmten Körper entfernt, unter einen Stuhl gerollt. Bei dem Flug durch die Luft hatte sich der Mantel umgeschlagen und den Aufprall ein wenig gemildert. Der Kopf des Mannes ruhte auf dem gefalteten Stoff, sein Gesicht war deutlich zu sehen. Es war Marco Cutler.
23
Ich saß auf einem Stuhl vor Sergeant Rondlers Schreibtisch im grellen Licht einer Lampe. Ein Polizeistenograph schrieb eifrig jedes Wort mit, das
ich sagte. Zwei uniformierte Beamte ließen mich nicht aus den Augen und beobachteten mich mit der angespannten Aufmerksamkeit von Pokerspielern.
Edna Cutler und Roberta Fenn saßen auf der einen Seite des Raumes, Bertha Cool und Emory Fiale auf der anderen.
»Also, Lam«, sagte Sergeant Rondler, »Sie machten Roberta Fenn in Shreveport ausfindig und brachten Sie nach Los Angeles.«
»Irgendwelche Einwendungen dagegen?« fragte ich.
»Die Polizei von New Orleans fahndete nach ihr.«
»Davon hat mir kein Mensch was gesagt.«
»Aber Sie haben die Zeitungen gelesen und wußten, daß man sich fragte, was ihr zugestoßen sein könnte.«
»Es ist mir neu, daß Zeitungen amtliche Verlautbarungen sind. Ich wußte nur, daß Robertas Leben in Gefahr war, und ich wollte ihr eine Chance geben.«
»Woher wußten Sie, daß sie in Gefahr war?«
»Sie war mit Edna Cutler befreundet, und wenn die beiden erst mal die Köpfe zusammensteckten, hätten sie vermutlich eine ganze Menge ausgeknobelt.«
»Sie meinen, über den Mord an Craig?«
»Ja, über ihn und anderes.«
»Erzählen Sie mir von Craig.«
»Cutler hatte im Aufträge von Silas Roxberry und mit dessen Geld ölverdächtige Grundstücke aufgekauft. In den Geschäftsbüchern liefen die Transaktionen unter dem Namen von Edna P. Cutler. Edna hatte keine Ahnung davon. Nach dem Tode des alten Roxberry entpuppten sich die Grundstücke als wahre Goldgrube. Man fand tatsächlich Erdöl. Da der Landkauf ganz im stillen getätigt worden war, existierten keine Unterlagen darüber. Marco Cutler hielt den Mund und rührte sich nicht. Wenn es ihm gelang, den wahren Sachverhalt zu verheimlichen, dann konnte er eine halbe Million Dollar einstreichen, ein Vermögen, das eigentlich, bis auf einen geringfügigen Anteil, Roxberrys Erben gehörte. Außerdem war es auf den Namen seiner Frau eingetragen. Um seine Frau
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