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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Entrüstung, sogar Entsetzen und, im Nachhinein, ein lähmender Schock. Große, überwältigende Gefühlssequenzen. Bildfolgen mit viel zu lautem Ton in seinem Kopf.
    Aber während er hier saß, nicht nur durch den Schreibtisch von Hank getrennt, fühlte er keine dieser Emotionen. Er konnte das, was er beobachtet hatte, völlig teilnahmslos beschreiben. Oder sich teilnahmslos alles anhören, was Hank ihm erzählte.
    Zum Beispiel konnte er jetzt wie beiläufig sagen: »Donna stirbt langsam an Hepatitis und benutzt ihre Nadel dazu, noch so viele ihrer Freunde mitzunehmen, wie sie eben kann. Ich empfehle, dass wir sie unter Druck setzen, bis sie damit aufhört.« Sein eigenes Mädchen… falls er das beobachtet hatte oder zumindest wusste, dass es zutraf. Oder: »Donna hat ein Mickymaus-LSD-Analog geschluckt und leidet jetzt unter akuter Gefäßverengung. Die Hälfte der Blutgefäße in ihrem Gehirn ist schon dicht.« Oder: »Donna ist tot.« Und Hank würde das seelenruhig notieren und vielleicht fragen: »Wer hat ihr den Stoff verkauft und wo wird er hergestellt?« Oder: »Wo ist die Beerdigung? Wir sollten auf jeden Fall die Autonummern checken und die Namen der Leute herausfinden, die da teilnehmen.« Und er, Fred, würde völlig emotionslos mit Hank darüber diskutieren.
    Das war Fred. Doch später irgendwann verwandelte sich Fred wieder in Bob Arctor, irgendwo auf dem Weg zwischen dem Pizza Hut und der Arco-Tankstelle (wo das Normalbenzin jetzt einen Dollar und zwei Cent kostete), und die fürchterlichen Farben kamen zu ihm zurück, ob ihm das nun gefiel oder nicht.
    Diese Verwandlung, die er in seiner Identität als Fred erlebte, war eine Art Ökonomie der Gefühle. Auch Feuerwehrleute, Ärzte, Leichenbestatter gingen bei ihrer Arbeit auf diesen Trip. Keiner von ihnen konnte alle paar Augenblicke aufspringen und losschreien; dadurch würden sie sich selbst aufreiben, nutzlos werden und schließlich auch die Menschen in ihrer Umgebung fertig machen. Jedes Individuum hat nur eine beschränkte Menge von Energie, über die es verfügen kann.
    Hank zwang Fred diese Leidenschaftslosigkeit nicht auf, er gestattete ihm vielmehr, so zu sein. Um seinetwillen. Fred rechnete ihm das hoch an.
    »Was ist mit Arctor?«, fragte Hank jetzt.
    Zu allem anderen erstattete Fred in seinem Jedermann-Anzug auch noch über sich selbst Bericht. Tat er das nicht, dann würde sein Vorgesetzter – und damit die gesamte Behörde – merken, wer Fred war, Anzug oder nicht. Und die Spitzel, die die ST-Agentur in den Polizeiapparat eingeschleust hatte, würden diese brandheiße Neuigkeit natürlich sofort melden. Und dann würde Fred, der als Bob Arctor in seinem Wohnzimmer saß und zusammen mit anderen Dopern Dope rauchte und schluckte, plötzlich entdecken, dass auch hinter ihm ein neunzig Zentimeter großer Killer auf einem Wägelchen herrollte. Und er würde nicht halluzinieren – nicht so wie Jerry Fabin.
    »Arctor ist ruhig«, sagte Fred – seine Standardantwort. »Arbeitet in der Blue-Chip-Briefmarkensammelstelle, schluckt täglich ein paar Tabletten Tod, gepanscht mit Methedrin…«
    »Ich bin mir da nicht so sicher.« Hank spielte mit einem Blatt Papier, das er aus dem Stoß vor sich gekramt hatte. »Wir haben hier einen Tipp von einem Informanten, dem man für gewöhnlich vertrauen kann, dass Arctor wesentlich mehr Geld zur Verfügung hat, als ihm die Leute von Blue Chip bezahlen. Wir haben dort angerufen und uns nach Arctors Nettoeinkommen erkundigt. Hoch ist es nicht. Und als wir nachhakten, um festzustellen, woran das liegt, haben wir erfahren, dass er nicht die ganze Woche über dort arbeitet. Also muss Arctor einen Nebenverdienst haben, von dem wir nichts wissen.«
    »Kein Scheiß?« Fred wusste natürlich, dass es sich bei diesem Nebenverdienst um die Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Rauschgiftermittler handelte. Jede Woche erhielt er von einer Maschine in einem mexikanischen Stehimbiss in Placentia, die sich als Dr.-Pepper’s-Automat tarnte, eine bestimmte Geldsumme in kleinen Scheinen – hauptsächlich Honorare für Informationen, die er geliefert hatte und die vor Gericht zu einem Schuldspruch geführt hatten. Manchmal war diese Summe außergewöhnlich hoch, etwa dann, wenn dank Arctors Hilfe eine besonders große Lieferung Heroin abgefangen werden konnte.
    Hank studierte weiter nachdenklich das Papier. »Unser Informant sagt außerdem, dass Arctor unter geheimnisvollen Umständen kommt und geht, besonders gegen

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