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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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schön, die Menschen und die Autos ringsum ließen seine Stimmung wieder besser werden, und die Luft roch gut. Und endlich bestand wieder Aussicht auf Erfolg; das beflügelte ihn am meisten. Sie waren so weit gekommen, und jetzt konnten sie den Rest des Weges
    auch noch schaffen.
    Donna sagte: »Ich glaube wirklich, es gibt nichts, was schrecklicher wäre, als jemanden oder etwas – ein lebendes Geschöpf zu opfern, ohne daß dieses Geschöpf jemals erfährt, was mit ihm geschieht. Wenn er es nur wüß-
    te! Wenn er es nur verstehen würde und sich freiwillig zur Verfügung stellen würde. Aber –« Sie hob resignie-rend die Hände. »Er weiß es nicht; er hat es nie gewußt.
    Er hat sich nicht freiwillig –«
    »Natürlich hat er das. Es gehört zu seinem Job.«
    »Es ist ihm nie zu Bewußtsein gekommen, und auch
    jetzt ist es ihm noch nicht bewußt, weil er jetzt überhaupt kein aktives Bewußtsein mehr hat. Sie wissen das genau-sogut wie ich. Und er wird nie wieder in seinem Leben, nie wieder, solange er lebt, ein aktives Bewußtsein haben. Nur noch Reflexe. Und das war kein Betriebsunfall; es sollte passieren. Darum lastet ein schlechtes Karma auf uns. Ich spüre es auf meinem Rücken. Wie ein
    Leichnam. Ich trage einen Leichnam mit mir herum –
    Bob Arctors Leichnam. Auch wenn er klinisch gesehen 434
    noch lebt.« Ihre Stimme war laut geworden; Mike We-
    staway bedeutete ihr, sich zu mäßigen, und mit sichtlicher Anstrengung zwang sie sich wieder zur Ruhe. Von den anderen Holztischen hatten schon andere Gäste, die dort genußvoll ihre Hamburger und Shakes verzehrten, fragend herübergeblickt.
    Nach einer Pause sagte Westaway: »Betrachten Sie es doch einmal unter diesem Aspekt – man kann nicht etwas
    … jemanden verhören, der keinen Verstand hat.«
    »Ich muß zurück zur Arbeit«, sagte Donna. Sie schau-te auf die Armbanduhr. »Ich werde ihnen berichten, daß alles okay zu sein scheint, wenn man von dem ausgeht, was Sie mir erzählt haben. Ihrer Einschätzung nach.«
    »Warten Sie bis zum Winter«, sagte Westaway.
    »Winter?«
    »Bis dahin wird es dauern. Fragen Sie nicht, warum, aber so ist es nun mal; entweder wird es im Winter klappen, oder es läuft überhaupt nicht. Wir werden es dann schaffen oder nie.« Genau zur Sonnenwende, dachte er.
    »Ein angemessener Zeitpunkt. Dann, wenn alles tot ist und unter dem Schnee begraben.«
    Er lachte. »In Kalifornien?«
    »Der Winter der Seele. Mors ontologica. Wenn der Geist tot ist.«
    »Nur am Schlafen«, sagte Westaway. Er erhob sich.
    »Ich muß auch abhauen. Ich muß eine Fuhre Gemüse
    abholen.«
    Donna starrte ihn mit einem Blick an, in dem zugleich stumme Trauer, Schmerz und Bestürzung lagen.
    »Für die Küche«, sagte Westaway sanft. »Möhren und
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    Salat. Richtiges Gemüse. Gespendet von McCoy’s Su-
    permarkt, für uns Arme vom Neuen Pfad. Tut mir leid, daß ich das gesagt habe. Es sollte kein Witz sein. Es sollte überhaupt nichts bedeuten.« Er tätschelte ihre in Leder gehüllte Schulter. Und als er das tat, kam ihm auf einmal der Gedanke, daß vielleicht Bob Arctor diese Jacke als Geschenk für sie gekauft hatte – in besseren, glückliche-ren Tagen.
    »Wir arbeiten schon lange in dieser Angelegenheit zusammen«, sagte Donna in gedämpftem, ruhigem Tonfall.
    »Ich möchte nicht mehr viel länger daran arbeiten. Ich wünsche mir, daß das endlich aufhört. Manchmal, wenn ich nachts nicht schlafen kann, denke ich mir: Scheiße, wir sind kälter als sie. Als der Gegner.«
    »Ich sehe nichts Kaltes, wenn ich Sie anschaue«, sagte Westaway. »Aber natürlich kenne ich Sie eigentlich nicht sehr genau. Was ich allerdings sehe – und ich glaube nicht, daß ich mich täusche –, ist einer der warmherzig-sten Menschen, die ich je kennengelernt habe. «
    »Ich bin nach außen hin warm, und die Leute können
    nur die Außenseite sehen. Warme Augen, ein warmes
    Gesicht, ein warmes, vorgetäuschtes Scheiß-Lächeln, aber innendrin bin ich die ganze Zeit über kalt und voller Lügen. Ich bin nicht das, was ich zu sein scheine; in Wirklichkeit bin ich schrecklich.« Die Stimme des Mädchens blieb ruhig, und während sie sprach, lächelte sie.
    Ihre Pupillen waren groß und sanft und ohne Arglist.
    »Aber dann wieder sage ich mir, daß es nicht anders geht. Oder? Ich habe das vor langer Zeit begriffen und mich gezielt so gemacht, wie ich jetzt bin. Aber eigent-436
    lich ist das gar nicht so schlecht. Auf diese Weise bekommt man alles, was man will.

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