Der dunkle Schirm
denk’ mir einen für dich aus. Wie wär’s den mit ›Kay‹?«
»Du wohnst doch auch hier, oder?« sagte er.
»Ja, aber meine Mami dürfte jetzt eigentlich von hier weg. Sie ist noch am Überlegen, ob sie von hier weggeht und uns mitnimmt, mich und meinen Bruder.«
Er nickte. Etwas von der Wärme, die ihn bisher erfüllt hatte, war von ihm gewichen.
Urplötzlich, ohne erkennbaren Grund, rannte das Kind fort.
Ich sollte mir selbst einen Namen ausdenken, ent-
schied er; eigentlich ist das doch meine eigene Aufgabe.
Er betrachtete eingehend seine Hand und fragte sich, warum er das tat; da war nichts Besonderes zu sehen. Bruce, dachte er; das ist mein Name. Aber es müßte noch einen anderen, besseren Namen geben als den, dachte er. Die Wärme, die ihm noch geblieben war, verschwand nach
und nach, ganz so wie das Kind.
Er fühlte sich wieder allein und sehr weit weg von sich selbst und verloren. Und nicht sehr glücklich.
*
Eines Tages konnte Mike Westaway es so hindrehen, daß er losgeschickt wurde, um eine Fuhre halb verrotteten Gemüses abzuholen, die ein ortsansässiger Supermarkt dem Neuen Pfad gespendet hatte. Nachdem er sich jedoch vergewissert hatte, daß ihm niemand vom Personal folgte, tätigte er einen Telefonanruf und traf dann in einem McDonald’s-Schnellimbiß Donna Hawthorne.
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Sie saßen zusammen draußen, und auf dem Holztisch
zwischen ihnen standen Coke und Hamburger.
»Haben wir es wirklich geschafft, ihn einzuschleu-
sen?« erkundigte sich Donna.
»Ja«, sagte Westaway. Aber bei sich dachte er: Der
Typ ist so total ausgebrannt. Ich frage mich, ob uns das weiterbringt. Ich frage mich, ob wir damit wirklich einen entscheidenden Erfolg verbucht haben. Und doch mußte alles so ablaufen, wie es abgelaufen ist.
»Sie haben noch keinen Verdacht geschöpft?«
»Nein«, sagte Mike Westaway.
Donna sagte: »Sind Sie sich eigentlich sicher, daß sie das Zeug anbauen?«
»Nein. Aber das zählt nicht. Die da oben glauben es.«
Die, die uns bezahlen, dachte er.
»Was bedeutet der Name?«
»Mors ontologica. Tod der Seele. Der Identität. Des innersten Wesens.«
»Wird er dazu fähig sein, zu handeln?«
Westaway betrachtete die Autos und die Menschen,
die vorüberströmten, mit schwermütigem Blick, während er zugleich in seinem Essen herumstocherte.
»Wer kann das schon sagen?«
»Man kann es nie mit Sicherheit wissen, bis der entscheidende Augenblick da ist. Eine vage Erinnerung. Ein paar durchgeschmorte Gehirnzellen, die noch ein bißchen weiterflackern. Wie ein Reflex. Reagieren, nicht agieren.
Wir können nur hoffen. Erinnern Sie sich, was Paulus in der Bibel sagt: Glaube, Hoffnung und Selbstaufgabe bis zum letzten Cent.« Er musterte eingehend das hübsche, 432
dunkelhaarige Mädchen, das ihm gegenübersaß, und ihr intelligentes Gesicht verriet ihm, warum Bob Arctor –
nein, dachte er; ich muß von ihm immer nur als Bruce denken. Andernfalls gebe ich zu, daß ich zuviel weiß: Dinge, die ich nicht wissen sollte, nicht wissen kann. Et-wa, warum Bruce so viel von ihr hielt. Jedenfalls damals, als er noch fähig war, zu denken.
»Er ist sehr gründlich auf seine Aufgabe vorbereitet worden«, sagte Donna in einem, wie es ihm vorkam, ungewöhnlich hoffnungslosen Tonfall. Und gleichzeitig huschte ein Ausdruck von Trauer über ihr Gesicht und entstellte es. »Ein so hoher Preis«, sagte sie dann wie zu sich selbst und nippte an ihrer Coke.
Er dachte: Aber es gibt keinen anderen Weg. Anders
kann man nicht hineinkommen. Ich kann nicht hineinkommen. Das ist jetzt endgültig sicher; ich muß nur daran denken, wie lange ich es versucht habe. Sie werden nur eine ausgebrannte Hülle wie Bruce hereinlassen. Jemanden, der harmlos ist. Er würde so sein müssen wie …
ja, genau so, wie er jetzt ist. Sonst würden sie das Risiko nicht eingehen. Das ist ihr Grundsatz.
»Die Regierung verlangt schrecklich viel«, sagte Don-na.
»Das Leben verlangt schrecklich viel.«
Sie hob ihren Blick und starrte ihn voller mühsam unterdrückter Wut an. »In diesem Fall doch wohl die Bun-desregierung. Und sie verlangt es von Ihnen, von mir, von –« Sie unterbrach sich. »Von dem, was einmal mein Freund war.«
»Er ist immer noch Ihr Freund. «
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Donna sagte heftig: »Ja, das, was von ihm übrigge-
blieben ist.«
Das, was von ihm übriggeblieben ist, dachte Mike
Westaway, sucht immer noch nach dir. Auf seine Weise jedenfalls. Auch er fühlte sich niedergeschlagen. Aber der Tag war
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