Der dunkle Schirm
das.
Die schlimmsten Identitätskrisen machte Bob Arctor
immer dann durch, wenn er wieder einmal von Dem Mann angeschissen wurde. Wenn die Bullen – ganz gleich, ob es nun gewöhnliche Beamte in Uniform, Angehörige von Spezialtruppen in paramilitärischen Kampf-anzügen oder irgendwelche andere Polypen waren – mit ihrem Streifenwagen dicht am Randstein neben ihm her-fuhren, dabei die Geschwindigkeit ihrer Fahrzeuge langsam seinem Schlenderschritt anpaßten, ihn durch die Sei-tenfenster mit gespannten, scharfen, metallischen, leeren Blicken prüfend anstarrten und dann manchmal, offensichtlich aus einer bloßen Laune heraus, anhielten und ihn zu sich winkten.
»Okay, zeig uns mal deinen Ausweis«, sagte der be-
treffende Bulle dann stets und streckte ihm fordernd die Hand durch das heruntergekurbelte Fenster entgegen; und dann, während Fred-Arctor-wer-auch-immer in seiner Brieftasche herumfummelte, pflegte der Bulle ihn anzuschreien: »Schon mal VERHAFTET worden?« Und
um das Ritual ein wenig zu variieren, mochte er vielleicht noch hinzufügen: »ZUVOR?« Ganz so, als ob Arctor im nächsten Augenblick ins Loch wandern würde.
»Was liegt denn an?« sagte Arctor dann für gewöhn-
lich, falls er überhaupt etwas sagte. Natürlich versammel-te sich wie von selbst eine Menschenmenge am Ort des Geschehens. Die meisten der Zuschauer nahmen wohl
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an, der arme Kerl sei beim Dealen an der Straßenecke erwischt worden. Sie grinsten nervös und warteten ab, was wohl weiter geschehen würde. Einige von ihnen – in der Regel Chicanos oder Schwarze oder Typen, denen
man auf den ersten Blick ansah, daß sie selber zur Scene gehörten – verfolgten das Geschehen allerdings eher wü-
tend. Aber jene, die wütend aussahen, kapierten schon nach kurzer Zeit, daß sie wütend aussahen und beeilten sich tunlichst, einen eher unbeteiligten Gesichtsausdruck aufzusetzen. Weil es nämlich ein offenes Geheimnis war, daß jeder, der in Anwesenheit von Bullen wütend oder unbehaglich dreinblickte – was nun davon, war egal –, offenbar etwas zu verbergen hatte. Wenn man den Ge-rüchten, die so im Umlauf waren, Glauben schenken
wollte, dann wußten das gerade auch die Bullen und
nahmen sich ausgerechnet diese armen Teufel als nächste vor.
Heute jedoch belästigte niemand Bob Arctor. Eine
Menge Scenerypen liefen hier herum; er war nur einer unter vielen.
Was bin ich eigentlich? fragte er sich. Er sehnte sich einen Augenblick lang nach seinem Jedermann-Anzug.
Dann, dachte er, könnte ich als vager Fleck weitergehen, und die Passanten, das ganze Volk, würden applaudieren.
Bühne frei für den vagen Fleck! dachte er und spulte die ganze Szene im Lyons-Club noch einmal in seinem Kopf ab. Was für eine Art, Anerkennung zu finden! Wie konnten sie sich zum Beispiel eigentlich sicher sein, daß er der richtige vage Fleck war und nicht ein anderer? Es könnte jemand anderes als Fred darinstecken, oder ein 53
anderer Fred, und sie würden das nie erfahren, nicht einmal dann, wenn Fred den Mund aufmachte und redete.
Sie würden es nicht einmal dann wirklich wissen. Sie würden es nie wissen. Beispielsweise könnte der Träger des Jedermann-Anzuges Al sein, der nur vorgab, Fred zu sein. Jeder Beliebige könnte darin stecken, ja, der Anzug könnte sogar leer sein. Vom Orange County-Polizei-hauptquartier könnten sie per Funk eine Stimme in den Jedermann-Anzug senden, könnten ihm vom Büro des
Sheriffs aus auf diese Weise Leben einhauchen. Fred könnte jeder x-beliebige sein, der zufällig an diesem Tag an seinem Schreibtisch sitzt und zufällig das Drehbuch und das Mikro findet; eine Einzelperson oder eine ganze Verschwörung von Typen an ihren Schreibtischen.
Aber ich nehme an, daß dank der Schlußworte meiner
Ansprache diese Möglichkeit wohl doch nicht in Betracht kommt. Die Jungs drüben im Büro wollen ja gerade dar-
über mit mir sprechen. Da er nicht besonders scharf auf diese Aussprache war, trödelte er weiter herum, um so das Treffen hinauszuschieben. Sein zielloses Herumwan-dern führte ihn nirgendwohin und zugleich doch überallhin. In Kalifornien machte es ohnehin keinen Unter-
schied, wohin man ging; überall stieß man auf denselben McDonaldburger-Stand, wieder und wieder, wie bei einer gemalten, kreisförmigen Kulisse, die an einem vorbei-läuft, während man vorgibt, irgendwohin zu gehen. Und wenn man schließlich Hunger bekam, und an den McDonaldburger-Stand trat und einen Hamburger von McDo-
nald’s
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