Der dunkle Schirm
außerdem auch weniger umständlich. Und wenn man diese Leute noch nicht oft getroffen hatte, bevor man mit der Überwachung begann, würde man von da an sowieso intensiver mit ihnen in Kontakt treten müssen. Am Ende lief es auf das gleiche hinaus.
Fred-Arctor betrat eine Telefonzelle und wählte durch.
Klingelingeling.
»Hallo«, sagte Donna.
Alle Münzfernsprecher in der ganzen Welt waren an-
gezapft. Und wenn irgend einer doch mal nicht angezapft war, mochten die Monteure bloß noch nicht bis dorthin vorgestoßen sein. Die abgehörten Gespräche wurden an einem zentralen Ort elektronisch gespeichert. Ungefähr jeden zweiten Tag erhielt ein Polizeibeamter einen Spei-cherausdruck und konnte sich nun einen Überblick über alle abgehörten Telefongespräche verschaffen, ohne ü-
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berhaupt sein Büro verlassen zu müssen. Er wählte nur die Speichertrommeln an, und auf sein Signal hin spulten sie die verlangten Anrufe ab, wobei sie alle Leerstellen auf den Bändern ausließen. Die meisten Anrufe waren harmlos. Der Polizeibeamte konnte jedoch die, die nicht so harmlos waren, ziemlich schnell identifizieren. Das war seine besondere Fähigkeit. Dafür wurde er bezahlt.
Und einige Beamte konnten das halt besser als ihre Kollegen.
Als Arctor und Donna jetzt miteinander sprachen, hör-te niemand simultan mit. Der elektronische Mitschnitt würde frühestens am nächsten Tag zur Überprüfung ab-gespult werden. Wenn sie etwas eindeutig Illegales be-sprachen und der Überwachungsbeamte das bemerkte,
würde man von ihnen Stimmabdrücke machen. Alles,
was Arctor und Donna also tun mußten, war, das Ge-
spräch so unverfänglich wie möglich zu halten. Aber auch dieser Dialog konnte immer noch als Rauschgift-Deal erkennbar sein. Hier kam ihnen aber ein gewisses regierungstypischen Effektivitätsdenken zugute: Für die Behörden lohnte es sich einfach nicht, die ganze komplizierte Prozedur mit den Stimmabdrücken und den an-
schließenden Nachforschungen durchzuziehen, wenn es nur um kleine Delikte ging. Davon gab es viel zu viele, die an jedem Wochentag über viel zu viele Telefone besprochen wurden. Donna und Bob Arctor wußten das
natürlich. »Wie geht’s?« erkundigte er sich.
»So la la.« Ein kurzes Zögern in ihrer warmen, rauhen Stimme.
»Was macht dein Kopf heute?«
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»Totale Wirrnis. Bin irgendwie down.« Pause. »Mein
Boß hat mich heute morgen im Laden angefurzt.« Donna arbeitete an der Kasse einer kleinen Parfumerie in Gate-side Mall in Costa Mesa. Sie fuhr jeden Morgen mit ihrem MG hin. »Stell dir mal vor, was er von mir wollte.
Da war so ein Kunde, ein abgehalfteter Opa, einer von diesen Typen mit den grauen Schläfen, du kennst die Sorte ja, und der hat uns um zehn Eier beschissen. Und weißt du, was mein Chef gesagt hat? Das wär’ nur mein Fehler gewesen, und ich müßte den Schaden natürlich ersetzen. Na, jedenfalls werden mir die zehn Kröten jetzt vom Gehalt abgezogen. Und auf diese Weise bin ich
zehn Kröten los, ohne überhaupt einen Scheißfehler –
‘tschuldige – gemacht zuhaben.«
Arctor sagte: »Hey, kann ich was von dir kriegen?«
Sie klang jetzt mürrisch. Als ob sie nicht wollte. Aber das war nur einer der kleinen, in diesem Geschäft üblichen Bluffs. »Wie viele – willst du? Hör mal, eigentlich –«
»Zehn«, sagte er. So, wie sie es vereinbart hatten. Eins stand für einhundert; er forderte jetzt also tausend an.
Wenn solche Geschäfte über öffentliche Kommunika-
tionseinrichtungen abgewickelt wurden, hatte es sich als praktisch erwiesen, die wirklich großen Transaktionen als alltägliche Mini-Deals zu tarnen. Bei so geringen Mengen wie denen, von denen hier die Rede war, konnte man sogar einen Deal nach dem anderen abziehen, ohne daß sich die Behörden darum gekümmert hätten; falls die Behörden auf jeden kleinen Deal reagieren wollten, würden die Drogenfahnder pausenlos Tag und Nacht unterwegs sein müssen, um Apartments und Häuser, ja sogar 62
ganze Straßenzüge zu durchsuchen – und dabei doch so gut wie nichts erreichen.
»Zehn«, murmelte Donna gereizt.
»Mensch, mir geht der Arsch wirklich langsam auf
Grundeis«, sagte Arctor wie ein mieser kleiner Süchtiger.
Nicht wie ein Dealer. »Ich werd’s dir später zurückzah-len, wenn ich mir wieder was beschafft hab. «
»Nein«, sagte sie hölzern. »Ich geb’ sie dir gratis.
Zehn.«
Zweifellos dachte sie jetzt intensiv darüber nach, ob er wohl wirklich selber dealte. Vielleicht
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