Der dunkle Thron
und sah zu, wie der neue Braune fraß.
Der hatte großen Appetit, wie Nick vermutet hatte. »Den Winter über werden wir dich aufpäppeln«, sagte er zu ihm. »Und wenn der Schnee schmilzt, fangen wir an zu arbeiten. Ich denke, wir werden dich Enrico nennen, weil du ebensolch ein Fresssack zu sein scheinst wie der König.«
Er ging zum Haus hinüber, und als er eintrat, begegnete ihm seine Schwester mit ihren beiden Töchtern an der Küchentür.
»Nick!«, rief Laura. »Schon zurück?«
»Onkel Nick, Onkel Nick!«, krähte die dreijährige Giselle und streckte ihm die Arme entgegen. Ihre kleine Schwester schlief auf dem Arm ihrer Mutter.
Nick hob Giselle hoch und trug sie die Treppe hinauf in die Halle. Ein äußerst willkommenes Feuer prasselte im Kamin, und er setzte die Kleine auf der Decke ab, die davor ausgebreitet lag. »Ich habe schnell gefunden, was ich suchte«, antwortete er.
Laura setzte sich in einen der Sessel am Tisch, wo ein aufgeschlagenes Buch lag.
Nick brachte ihr einen Becher Wein und warf einen Blick auf den Titel. »Dafür kannst du in den Tower kommen, Laura«, bemerkte er.
»Ich weiß«, gab sie achselzuckend zurück. »Aber du besitzt es selbst, nicht wahr?«
»Ich habe alle verbotenen Bücher wieder ins Verlies gesperrt, falls Cromwell mir seine Spitzel auf den Hals hetzen sollte.«
»Aber Cromwell ist Reformer, Nick. Er hätte gewiss nichts gegen Vaters Bücher.«
»Cromwell ist vor allem Opportunist. Und wenn er einen Grund sucht, mich zu verhaften, kämen ihm die Bücher gerade recht. Genauso hat er es schließlich auch mit Vater gemacht, nicht wahr?« Er stellte sich mit dem Rücken ans Feuer, und es war ein herrliches Gefühl, die Kälte allmählich aus seinen Gliedern weichen zu fühlen. »Wo sind Philipp und John?«
»Philipp hat Arbeit als Gehilfe eines Wollhändlers in Bishopsgate gefunden. Langsam wird es besser, weißt du. Es gibt inzwischen so viele Reformer unter der Kaufmannschaft, dass Onkel Nathaniel sie nicht alle bestechen kann, Philipp keine Arbeit zu geben. Und John ist in der Stadt unterwegs. Er ist … ins Londoner Leben eingetaucht, könnte man wohl sagen.« Sie hob lächelnd die freie Hand. »Aber es sind nicht die Hurenhäuser, wohin er sein Geld trägt, sondern die Buchhändler.«
Sowohl Nick als auch Laura empfanden das Auftauchen ihres Cousins aus dem Norden als großen Gewinn. War Nick in Waringham, kam John oft dorthin, und zusammen mit Jerome Dudley bildeten sie ein höchst ungleiches Kleeblatt. Aber ebenso häufig war John in London bei Laura und Philipp, denn das rege geistige Leben in der Stadt war das reinste Elixier für ihn, und er hatte Freundschaft mit einigen Londoner Ärzten geschlossen. Und wo immer er sich aufhielt, bestand John darauf, für Kost und Logis zu bezahlen, worüber Laura und Nick gleichermaßen erleichtert waren, auch wenn sie das niemals zugegeben hätten.
»Bist du hungrig?«, fragte Laura. »Helen sagt, der Eintopf ist gleich fertig.«
Nick schnitt eine Grimasse. »Das habe ich geahnt und vorsichtshalber auf dem Markt eine Pastete gegessen.«
Sie lachten. Helen war über die Jahre eine tüchtige Magd geworden, aber ihre Kochkunst ließ immer noch ziemlich zu wünschen übrig.
»Es war seltsam unruhig auf den Straßen«, fuhr Nick fort. »Ist irgendwas passiert?«
»Ich habe nichts gehört.«
Nick setzte sich zu seiner Nichte auf die Decke und hob sie mitsamt ihrer Stoffpuppe auf den Schoß. »Auffallend viele Mönche waren unterwegs«, berichtete er weiter.
»Wirklich? Ich dachte, die säßen bei Kälte lieber am warmen Feuer und wärmten sich innerlich mit edelsten Tropfen.«
Nick steckte lieber die Nase in die duftigen, weichen Locken der kleinen Giselle, als sich von deren Mutter provozieren zu lassen. Lauras Spitze war keineswegs unberechtigt, wusste er. Viele Klöster waren genauso verkommen wie der Rest der Kirche. Kaum ein Mönch erinnerte sich noch an den Grundsatz ora et labora – bete und arbeite –, und erst vor Kurzem war ein Londoner Nonnenkloster geschlossen worden, nachdem bekannt geworden war, dass die »frommen Schwestern« dort Liebesdienste für zahlende Kunden anboten. Der Aufschrei der Empörung war gewaltig gewesen, und der Vorfall hatte den Reformern neuen Zulauf beschert.
Als Philipp und John bei Einbruch der frühen Dämmerung zusammen heimkehrten, erfuhren die Geschwister, was die Londoner Mönche aus ihren Klöstern gelockt hatte.
»Elizabeth Barton ist verhaftet worden«,
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