Der dunkle Thron
verpflichtet. Das hat er gesagt. Und er hat es nicht eingeschränkt, hat nicht etwa hinzugefügt, dass allein der Wille des Königs Vorrang habe. Nein. Jeder Mann ist zuallererst seinem eigenen Gewissen verpflichtet. Und es ist wahr.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich müsste lügen, wollte ich sagen, ich fürchte mich nicht. Aber mein Gewissen erlaubt mir nicht, diesen Eid zu schwören. Ein Eid sind Worte, die wir direkt an Gott richten. Und ich würde zu Gott sagen: Ich breche mein Versprechen, das ich Königin Catalina gegeben habe. Und ich verrate, wofür mein Vater gestorben ist.« Er hob hilflos die Hände. »Das … kann ich nicht.«
Er brach ab, denn mit einem Mal musste er um Haltung ringen. Lähmende Angst drohte ihn jedes Mal zu verschlingen, wenn er daran dachte, welchen Preis er womöglich zu zahlen haben würde. Und er sehnte sich so sehr danach, Laura und Philipp sagen zu hören, dass sie ihn verstünden, doch sie hatten bis jetzt nichts anderes getan, als ihn zu bedrängen, seine Bedenken über Bord zu werfen. In ihrem Zorn hatte seine Schwester ihm Arroganz und Selbstverliebtheit unterstellt – genau wie der Duke of Suffolk –, und er fühlte sich vollkommen allein.
Sein Cousin John schien seine Gefühle zu erraten, denn er stand plötzlich an seiner Seite und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du hast recht, Nick. Ich glaube, zum ersten Mal verstehe ich jetzt, wie diese Sache für dich aussieht. Aber ich bitte dich inständig: Bleib nicht hier und wirf dein Leben weg. Geh nach Norden.«
»Ich fürchte, dafür ist es ein wenig zu spät«, sagte eine Stimme von der Tür.
Nick erkannte sie an ihrem vermeintlich amüsierten Tonfall. Er wandte sich um – eigentümlich langsam, so schien es ihm. »Master Cromwell. Welch unverhoffte Ehre, dass der Sekretär Seiner Majestät sich persönlich herbemüht.«
Dieser verneigte sich förmlich. »Mylord of Waringham, ich verhafte Euch im Namen des Königs.«
Nick starrte auf die Schnitzerei des Geschirrschranks, während die beiden Wachen ihm die Hände fesselten und die Waffen abnahmen. Lauras wächserne Schreckensmiene glich exakt der bei der Verhaftung ihres Vaters, und diese Erinnerung war wirklich das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. »Lebt wohl, und Gott schütze euch«, sagte er über die Schulter, als die Wachen ihn umdrehten und hinausführten.
Unten an der Treppe standen zwei weitere. Einer der Männer hielt Jerome von hinten gepackt, der andere hatte ihm die Klinge an die Kehle gesetzt.
»Lasst ihn heil«, befahl Cromwell. »Ich möchte keine Unannehmlichkeiten mit dem Duke of Suffolk. Der Mann kann gehen.«
Sie ließen von ihm ab, aber Jerome schien es kaum zu bemerken. Er hatte nur Augen für Nick. »Jesus, Waringham … Es tut mir leid. Ich mach mich sofort auf den Weg zu Suffolk.«
Cromwell schnaubte. »Viel Erfolg, Sir. Und wenn Ihr uns nun vorbeilassen wollt? Ich habe noch viel zu tun heute Nacht.«
Sprachlos trat Jerome beiseite.
Es war dunkel geworden, aber weder Wind noch Regen hatten nachgelassen. Die beiden vorderen Wachen hatten Fackeln, die zischten und flackerten und allenthalben zu verlöschen drohten. Ihnen folgten die anderen beiden, die Nick in der Mitte führten, und Thomas Cromwell bildete die Nachhut. Zu Fuß gingen sie die Shoe Lane hinab, bogen rechts in die Fleet Street und wenig später nach links in die Middle Temple Lane. Keine Menschenseele begegnete ihnen. Ihr Weg betrug kaum mehr als eine halbe Meile, aber sie alle waren bis auf die Haut durchnässt, als sie am Ende der Gasse die Treppe zum Fluss hinabstiegen. Einer von Nicks Wächtern glitt auf den ersten nassen Stufen aus und hätte den Gefangenen um ein Haar in die Tiefe gerissen, fing sich aber wieder.
»Obacht, Hunter«, mahnte Cromwell. »Wir wollen doch nicht, dass irgendwer sich den Hals bricht.«
Die vier Wachen grinsten, brachten Nick zum Fluss hinab und bedeuteten ihm, in das Ruderboot zu steigen, das dort vertäut lag. Einer hielt ihn am Ellbogen gepackt, um ihm über die Bordwand zu helfen, denn das Bötchen schaukelte heftig.
»Dort, die Bank in der Mitte, Mylord«, sagte Cromwell mit einer Geste, als lade er Nick zu einem Sonntagsausflug auf dem Fluss ein.
Nick hockte sich auf die schmale Holzplanke. Behindert durch die gebundenen Hände, zog er ungeschickt den Mantel fester um sich. Cromwell setzte sich im Bug auf die Bank ihm gegenüber, während zwei der Wachen die Ruder besetzten und die anderen beiden sich auf der
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