Der dunkle Thron
bleiben. Seine Glieder waren wie erstarrt, seine Kleider sogen sich voll und zogen ihn in die Tiefe. Doch schließlich erwachte sein Überlebenswille, und Nick begann sich zu regen. Er zog die Beine an und entledigte sich ohne allzu große Mühe seiner Stiefel. Dann vertraute er sein Leben seinem Orientierungssinn an und tauchte in die Richtung, die, wie er hoffte, weg vom Tower-Ufer und dem Boot führte.
Nick war ein hervorragender Schwimmer. In den Jahren in Chelsea war Baden in der Themse die einzige Möglichkeit gewesen, seinen Gliedern Bewegung und einen Ausgleich zum ewigen Stillsitzen im Schulunterricht zu verschaffen. Aber in Chelsea waren sie nur im Sommer und bei Tageslicht geschwommen. Und da Chelsea flussaufwärts von London lag, war das Wasser dort klar und rein.
Als Nicks Lungen zu bersten drohten und er endlich an die Oberfläche schnellte, hüllte der widerwärtige Gestank ihn ein, den all der Unrat verursachte, welchen die Londoner achtlos in ihren Fluss warfen. Etwas Großes, Schwammiges streifte seinen Arm, und Nick musste sich auf die Zunge beißen, um nicht aufzuschreien. Nur ein Hundekadaver oder Ähnliches, schärfte er sich ein. Er trat Wasser und drehte sich einmal um die eigene Achse, um festzustellen, wo er sich befand und ob das Boot in der Nähe war. Es war zwecklos. Die Wellen nahmen ihm die Sicht und schwappten über ihn hinweg. Weder Boot noch Ufer waren auszumachen. Er war ganz allein, eingehüllt in Schwärze, und der aufgewühlte Fluss war ein übermächtiger Feind, der ihn verschlingen wollte.
Nick kniff die Augen zu und atmete ein paarmal tief durch, um nicht in Panik zu geraten. Dann kehrte er dem Stadtufer und dem Tower of London wieder den Rücken und schwamm. Mit den gebundenen Händen war es schwieriger, als er für möglich gehalten hätte; er kam kaum von der Stelle und drohte allenthalben unterzugehen. Also drehte er sich um und schwamm auf dem Rücken.
Die Muskeln seiner Beine waren stark und ausdauernd, doch nach einer Viertelstunde hatte er das Gefühl, immer noch keine Elle weit gekommen zu sein, und seine Kräfte begannen zu schwinden. Er hielt inne und versuchte nicht zum ersten Mal, die Handfesseln zu lösen. Aber es ging einfach nicht, der Knoten in dem nassen Strick hatte sich so festgezogen, dass nur eine scharfe Klinge die Fesseln würde lösen können.
Dann muss es eben ohne Hände gehen, redete er sich zu. Na los, Waringham, beweg die Beine, sonst kommst du nie ans Ufer.
Er bemühte sich, kräftige und gleichmäßige Schwimmzüge zu machen, denn er wusste, wenn er versuchte, sich zu beeilen, würde er untergehen. Also schwamm er mit Bedacht. Er ignorierte das schmerzhafte Ziehen in Waden und Oberschenkeln. Allemal besser als die Streckbank, fuhr es ihm durch den Kopf. Er lachte ein bisschen über diesen absurden Gedanken, als ihn ohne jede Vorwarnung ein Wadenkrampf überfiel.
Sein zittriges Lachen ging in einen matten Schrei über. Instinktiv zog er das Bein an, um es mit den Händen zu umklammern, denn er hatte vergessen, dass er gefesselt war. Der Schmerz schnitt ihm die Luft ab, und Nick spürte, dass er zu sinken begann, gab sich geschlagen und schloss die Augen.
Er riss sie wieder auf, als eine kräftige Hand ihn am Kragen packte. Sein Kopf tauchte aus dem Wasser, Nick rang keuchend um Atem und blinzelte gegen den plötzlichen Ansturm von Licht. Verschwommen erkannte er eine Bordwand keinen Spann vor seiner Nase.
»Fahrt zu Hölle, Cromwell«, brachte er keuchend hervor und versuchte, sich loszureißen.
Aber die Hand hielt ihn unbarmherzig gepackt. »Sachte, Freund«, riet eine fremde Stimme über ihm. »Hier in meinem Boot ist kein Cromwell, ich schwör’s. Lasst Euch helfen.«
Nick konnte nicht antworten. Der Krampf wollte einfach nicht nachlassen, Arme und Beine zitterten, und er war vollauf damit beschäftigt, Atem zu schöpfen.
Sein unbekannter Retter zog ihn mit einem Ruck ein Stück höher, und Nick krallte die Hände um die Bordwand.
»Bleibt, wo Ihr seid«, riet der Fremde. »Sie suchen den ganzen Fluss nach Euch ab.«
»Jesus, hilf mir …«, murmelte Nick. Seine Zähne klapperten.
»Hm, das tut er gerade. Hier, nehmt das Seil. Haltet Euch gut fest, es ist nicht weit bis ans Ufer. Ich ziehe Euch ins Schilf. Wenn ich ein Boot sehe, singe ich ›Herr, die Gottlosen sind eingedrungen in dein Erbe‹, und dann taucht Ihr unter, verstanden?«
»Singt lieber etwas anderes«, nuschelte Nick. »Cromwell könnte das persönlich
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