Der dunkle Thron
nehmen …«
»Schsch. Kein Wort mehr. Wir müssen Euch schleunigst aus dieser eiskalten Drecksbrühe holen, sonst kann Jesus in dieser Welt nichts mehr für Euch tun. Haltet Euch nur gut fest, um alles andere kümmere ich mich.«
Nick konnte nicht antworten. Mit einem Mal war er so erledigt, dass er fürchtete, das Bewusstsein zu verlieren. Reiß dich zusammen, schärfte er sich ein. Wenigstens der verfluchte Krampf hatte nachgelassen. Vermutlich war es nur das plötzliche Fehlen des Schmerzes, was ihn so schläfrig machte … Er wickelte das rettende Seil ungeschickt um seine gefühllosen, gebundenen Hände, schloss die Finger, so gut er konnte, und überließ sich dem Unbekannten im Boot.
Keinmal stimmte der seinen Psalm an, und es dauerte tatsächlich nicht lange, bis Nick Uferschilf rascheln hörte und schlammigen Boden unter den Füßen spürte. Er wollte das Seil loslassen, aber seine Finger öffneten sich nicht. Mit einem angewiderten Laut, der gefährliche Ähnlichkeit mit einem Schluchzen hatte, gab er den Kampf auf, grub die Zehen in den eisigen Schlick am Grund und wartete.
An einer Stange am Bug schaukelte eine Laterne im Wind. In ihrem Schein sah er einen Mann geschickt aus dem Boot springen und genau vor ihm landen. Der Unbekannte zückte ein Messer aus einer Scheide am Gürtel und zerschnitt die Fesseln. »Könnt Ihr laufen?«
Keine Ahnung, dachte Nick, aber er nickte.
Der Mann nahm ihn beim Arm. Halb stützte, halb führte er ihn die seichte Uferböschung hinauf, bis das Schilf in struppiges Gras überging. Nick spürte nicht mehr, ob es kalt war. Er hatte überhaupt kein Gefühl mehr in Beinen und Füßen.
»Wartet hier. Ich bin sofort zurück.« Der Fremde wandte sich ab, schleifte sein Boot aufs Ufer und kam im Handumdrehen mit der Laterne in der Rechten wieder zum Vorschein. Ohne ein weiteres Wort brachte er Nick quer über die Wiese, durch ein niedriges Holztor in einem Zaun und schließlich zur Tür eines kleinen Hauses. Nick hatte keine Ahnung, wo er sich befand, aber das war ihm auch gleich. Es kostete ihn alle Konzentration, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und als er durch eine Tür gezogen wurde, Regen und Wind plötzlich wie abgeschnitten waren und sein Blick auf einen Herd fiel, machte er noch drei torkelnde Schritte darauf zu, ließ sich langsam auf die Knie sinken und streckte die Hände über der Glut aus.
Eine unordentlich gefaltete Wolldecke erschien von links in seinem Blickfeld. »Hier. Zieht die nassen Sachen aus, sonst holt Ihr Euch den Tod, Mylord.«
Nick schreckte zusammen, und sein Kopf ruckte hoch. Zum ersten Mal sah er seinen Retter bei ausreichendem Licht, um ihn zu erkennen: ein Priester von vielleicht dreißig Jahren mit einem eigenwilligen, glatt rasierten Kinn, einer Habichtsnase und großen, graublauen Augen unter zusammengewachsenen Brauen. Die Ohren, die unter der schwarzen Kappe hervorlugten, waren zu groß und abstehend, was ihm etwas Schelmisches verlieh. Der Eindruck verstärkte sich, als er lächelte. »Ich bin Vater Anthony Pargeter, Pastor von St. Matthew in Southwark. Ich habe Euch an dem Wappen auf Eurem Mantel erkannt. Wenn Euch dabei wohler wäre, bringe ich Euch gern in meine Kirche, und Ihr könnt Asyl einfordern. Aber Ihr habt nichts von mir zu befürchten, Ihr habt mein Wort.«
Nick senkte den Kopf wieder. »Danke, Vater Anthony.« Seine Zähne hatten aufgehört zu klappern, aber die Kälte saß ihm immer noch in den Knochen. Obwohl seine Beine nach wie vor butterweich waren, stand er auf, verzog sich in einen dunklen Winkel des Raums und streifte seine tropfnassen Kleider ab, ehe er sich in die Decke wickelte.
Vater Anthony hatte unterdessen ein paar Scheite aufs Feuer gelegt. Es fing an zu knistern, und der Raum wurde heller. »Hier, setzt Euch. Ich mache Euch etwas Heißes.«
Nick sank auf einen Schemel am Tisch, stützte die Ellbogen auf und vergrub den Kopf in den Händen. »Gott … mein Leben ist ein Trümmerhaufen«, murmelte er. Schon wieder lief ein Zittern durch seine Beine. Anscheinend war er noch zu erledigt für solch erschütternde Erkenntnisse.
»Aber zumindest habt Ihr es noch, Euer Leben«, entgegnete Anthony, der am Herd stand und Wein in einen kleinen Kessel gab.
»Das ist wahr.« Nick richtete sich auf und ließ die Hände in den Schoß sinken. »Was ich allein Euch zu verdanken habe. Was hattet Ihr zu so später Stunde noch auf dem Fluss zu suchen, Vater Anthony?«
»Ich war bei einem meiner
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