Der dunkle Thron
seine Hände los, wandte sich ab und weinte stumm.
Nick sah zu ihrem Gemahl.
»Sir Thomas ist nicht nach Hause zurückgekehrt«, sagte Roper. »Ich bin sicher, Erzbischof Cranmer hat ihm goldene Brücken gebaut, denn er ist auf Vermittlung bedacht, nicht auf …« Er unterbrach sich und sah zu seiner Frau. Dann fuhr er fort: »Aber was immer er gesagt hat, Sir Thomas wird den Eid niemals leisten. Also … haben sie ihn in den Tower geschickt.«
Nick starrte ihn an, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, musste feststellen, dass er keine Stimme mehr hatte, und sank abrupt zurück auf seinen Stuhl, weil seine Beine mit einem Mal zu Wasser geworden waren. »Sie haben … Sir Thomas More verhaftet?«, brachte er schließlich hervor.
Roper nahm seine weinende Frau bei den Armen, führte sie zu einem Sessel und drückte sie behutsam darauf hinab. Er war ein hagerer Mann mit einem spärlichen, hellbraunen Bart. Nick kannte ihn kaum, denn Roper verbrachte den Großteil seiner Tage bei Gericht und im Temple, wo die Rechtsgelehrten ihre Kanzleien, Bibliotheken und ihre Bruderschaften hatten. Doch er wusste, Lady Meg war ihrem Gemahl sehr zugetan, und Sir Thomas, hatte Nick früher oft geargwöhnt, schätzte Ropers Gesellschaft mehr als die seines eigenen Sohnes.
»Aber der König … liebt ihn«, protestierte Nick, immer noch benommen von dieser Schreckensnachricht. »Und als … als er ihn gedrängt hat, das Amt als Lord Chancellor anzunehmen, hat er versprochen, dass Sir Thomas in der Scheidungsfrage niemals öffentlich Stellung beziehen müsse. Dass sein Schweigen genüge.«
»Woher wisst Ihr das?«, fragte Lady Meg verwundert und zog ein Taschentuch aus dem Ärmel.
Nick überlegte kurz. »Ich glaube, der Duke of Norfolk hat es meiner Stiefmutter erzählt, und ich habe es zufällig gehört.«
»Nun, offenbar haben die Dinge sich geändert«, erwiderte Lady Meg, sehr bemüht, keine Bitterkeit zu zeigen. »Er war vor ein paar Tagen noch bei uns. Norfolk, meine ich. Und er hat zu Vater gesagt: ›Sir Thomas, macht Euch nicht unglücklich. Den Zorn dieses Königs zu erregen ist ein … ein Todesurteil.‹ Und Vater hat gelächelt und die Beine übereinandergeschlagen, so wie er es immer tut, wenn sein Sieg in einer Debatte nahe ist, und er hat geantwortet: ›Und das ist alles, Mylord? Dann ist der einzige Unterschied zwischen Euch und mir, dass ich heute sterben werde und Ihr morgen.‹«
»Als ob Norfolk sich je gegen den König auflehnen würde. Er ist viel zu feige dazu«, widersprach Laura.
»So war es auch nicht gemeint«, entgegnete Nick leise und wechselte einen Blick mit Lady Meg. »Sir Thomas wollte ihn nur daran erinnern, dass der Tod zu uns allen kommt und es daher unsinnig ist, für einen Aufschub seine unsterbliche Seele aufs Spiel zu setzen.«
»Ihr kennt ihn gut, Mylord«, bemerkte Roper mit einem traurigen Lächeln.
»Genau wie umgekehrt«, fügte Lady Meg hinzu. »Darum hat mein Vater uns aufgetragen, zu Euch zu gehen, Nicholas.« Sie schien gar nicht zu merken, dass sie in die alte Vertraulichkeit zurückverfallen war. »Wir sollen Euch seine eindringliche Bitte ausrichten, den Eid zu leisten.«
Nick starrte sie an, als hätte sie ihn geohrfeigt – fassungslos und gekränkt. »Das ist wirklich bitter«, sagte er dann. »Mit welchem Recht verlangt er das von mir, wenn er selbst den Eid verweigert?«
»Weil es einen großen Unterschied zwischen euch gibt …«, begann Roper.
»Welchen?«, fiel Nick ihm aufgebracht ins Wort. »Weil sein Protest sich gegen den Passus der Eidformel richtet, der dem Papst die Autorität abspricht und ihn den ›Bischof von Rom‹ nennt, meine Weigerung ›nur‹ gegen Prinzessin Marys Ausschluss von der Thronfolge? Wie kann er sich anmaßen, seine Gründe für besser zu halten als meine?«
»Er sagt, der Unterschied zwischen euch sei, dass er ein alter Mann von sechsundfünfzig Jahren ist und Ihr noch nicht einmal zwanzig, Mylord«, antwortete Lady Meg. »Und dass er sich juristisch im Recht befinde – denn kein Parlament ist ermächtigt, die Autorität des Heiligen Stuhls zu bestreiten – Ihr aber im Unrecht, weil es durchaus die Befugnis des Parlaments sei, über die Thronfolge zu beschließen.«
Nick stand auf und stellte sich vor sie. »Ich habe im Haus Eures Vaters kein Griechisch gelernt, Lady Meg, aber er hat mich etwas gelehrt, woran ich in den letzten Wochen jeden Tag denken musste: Jeder Mann ist zuallererst seinem eigenen Gewissen
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