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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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verbliebenen Bank am Heck niederließen. Einer löste die Leine, während der andere beide Fackeln hielt. Dann tauchten die Ruderblätter in die rastlosen, kurzen Wellen der Themse, und das Boot strebte zur Flussmitte.
    Nick hielt mit Mühe den Kopf hoch und starrte links an Cromwells Kopf vorbei aufs Wasser. Er konnte nur beten, dass seiner Miene nicht anzusehen war, wie elend er sich fürchtete. Oder falls doch, dass Cromwell sein Gesicht in der Dunkelheit genauso wenig erkennen konnte wie umgekehrt. Nick spürte ein schmerzhaftes Ziehen in den Eingeweiden, und trotz Regen und eisigem Nachtwind auf dem Fluss schwitzte er.
    »Ich fürchte, Ihr folgt den Fußstapfen Eures Vaters, Mylord of Waringham«, bemerkte Cromwell.
    »Das ist wahr, Sir«, gab Nick zurück. »Und genau wie er habe ich nichts Unrechtes getan.«
    »Darüber muss wohl ein Gericht entscheiden. Mir obliegt es lediglich, dafür Sorge zu tragen, dass Ihr uns nicht abhanden kommt und etwa an den Hof des Kaisers flieht. Das wäre ein zu schwerer Verlust für England. Aufrechte Männer sind so rar geworden.«
    »Wie mutig, einen gefesselten, unbewaffneten Mann zu verhöhnen, Cromwell.« Nick gab sich keine Mühe, seine Verachtung zu verbergen.
    Doch König Henrys Sekretär hatte ein dickes Fell. »Ich meine durchaus ernst, was ich sage«, beteuerte er. »Und das Gleiche habe ich auch heute Mittag zu Sir Thomas gesagt, als ich ihn im Tower abliefern musste. England kann nicht auf ihn verzichten.«
    »Wenn Ihr nur ahntet, wie recht Ihr habt«, murmelte Nick vor sich hin.
    Pfeilschnell glitt das Boot mit der Strömung nach Osten, und der schneidende, nasse Wind wollte Nick die Tränen in die Augen treiben. Er wandte den Kopf ab.
    »Die gesamte Besatzung des Tower ist in Wehklagen ausgebrochen, als sie sah, wen wir brachten. Vor allem der Constable«, plauderte Cromwell weiter.
    »William Kingston?«, tippte Nick.
    »Ganz recht, Mylord. Ihr kennt ihn? Woher?«
    »Er war schon in Amt und Würden, als Kardinal Wolsey meinen Vater ermorden ließ.«
    Cromwell schnalzte nachsichtig mit der Zunge. »Euer Vater wurde nicht ermordet, Mylord.«
    Nick antwortete nicht. Er fühlte sich zu ausgelaugt, um Wortklaubereien mit diesem schmierigen Hofbeamten zu betreiben.
    Mit einem Mal beschleunigte sich das Boot, schaukelte bedenklich, und dann ragte mit erschütternder Plötzlichkeit der riesige schwarze Schatten der London Bridge vor ihnen auf. Nick krallte beide Hände um die Backbordwand, um das Gleichgewicht zu wahren, und dann schossen sie schon durch einen der gewaltigen Brückenbögen.
    Nicht mehr weit bis zum Tower, wusste Nick.
    »Die Tragik Eures Vaters war, dass er den rechten Moment zur Umkehr nicht erkennen konnte«, erklärte Cromwell mit gesenkter, beinah verschwörerischer Stimme. »Er hätte nicht zu sterben brauchen, der König hatte ihn auch so verstanden.«
    Nick stieß angewidert die Luft aus. »Ihr habt doch keine Ahnung, Mann …«
    Cromwell regte sich, verschränkte vielleicht die Arme vor der Brust. »Nun, glaubt, was Ihr wollt, Mylord. Ich kann nur hoffen, dass Ihr seinem Beispiel nicht auch in dieser Hinsicht folgen wollt, denn in dem Falle läge ein wahrhaft qualvoller Weg vor Euch.«
    Nick erwiderte nichts. Selbst wenn er gewollt hätte, war sein Mund mit einem Mal viel zu trocken zum Sprechen. Das Boot hatte die Flussmitte verlassen, merkte er, und er hörte die beiden Ruderer ächzen, die es gegen die rasche Strömung zum nördlichen Ufer lenkten.
    Die schattenhafte Gestalt ihm gegenüber neigte sich ein wenig vor. »Das wisst Ihr doch, oder? Die Bischofswürde wird Fisher, die Liebe des Königs vielleicht Sir Thomas More die Streckbank ersparen. Aber wenigstens einer von Euch drei treulosen Lumpen muss diesen Eid schwören, denn ein Bischof, ein ehemaliger Lord Chancellor und ein Angehöriger des alten Adels – das ist Widerstand aus zu vielen Richtungen. Der König weiß das genau, Mylord, und er wird tun, was getan werden muss, so wie immer. Darum solltet Ihr lieber nicht auf seine Gnade hoffen. Selbst wenn der Duke of Suffolk ihn auf Knien anflehte – was er, nebenbei bemerkt, natürlich nie für einen anderen Mann täte –, würde es Euch nicht retten.«
    »Ich weiß, Sir«, bekannte Nick tonlos, ließ sich nach rechts fallen und stürzte kopfüber in die schwarzen Fluten.
    Die eisige Kälte des Wassers war ein solcher Schock, dass er im ersten Moment glaubte, seine Flucht werde hier und jetzt enden und sein Herz einfach stehen

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