Der dunkle Thron
ins Licht der Öffentlichkeit getreten. Gestern hatte man die arme Frau und vier ihrer Anhänger in Tyburn hingerichtet, aber das bedeutete natürlich nicht, dass das finstere Gemunkel damit verstummt wäre. König Henry brauchte und wollte einen Loyalitätsbeweis seiner Untertanen.
Die Lords im Parlament hatten den Eid da und dort geschworen. Aber Nick war nicht unter ihnen gewesen. Obwohl ihm natürlich ein Sitz bei den Lords zustand, hatte er ihn noch nie eingenommen. Und alle Aufforderungen, den Eid zu leisten, hatte er bislang ignoriert.
Diplomatisch wie eh und je wechselte Philipp das Thema. »Was macht deine kleine Tochter?«
»Sie ist eine reine Wonne. Und sie läuft.«
Nick war eine Woche in Waringham gewesen, und weil er nicht wollte, dass Sumpfhexe von seinem Besuch Wind bekam, hatte er sich im Bergfried versteckt und das Gestüt nur in der Morgendämmerung oder abends nach Sonnenuntergang besucht. Die restliche Zeit hatte er mit der kleinen Eleanor und ihrer Mutter verbracht und Polly zu einem Plan überredet, den sie anfangs rundheraus und voller Schrecken abgelehnt hatte. Aber schließlich hatte er sie überzeugen können. Nun waren sie und Eleanor fort aus Waringham, und der Gedanke war nicht gerade dazu angetan, ihn aufzuheitern. Doch er konnte den vertrauten Menschen hier am Tisch nicht einmal davon erzählen, denn das war zu gefährlich. Es war nicht so, dass er ihnen misstraute, aber heutzutage wusste man einfach nie, wer wann von wem bespitzelt wurde. Je weniger Menschen von Pollys Wagnis wussten, desto sicherer für sie alle.
Das scheinbar unbeschwerte Gespräch über das Gestüt versiegte bald wieder. Keiner am Tisch hatte rechte Lust, die Fassade aufrechtzuerhalten, und so kehrte die bleierne Stille bald zurück.
Jerome leerte seinen Teller, stand auf und verabschiedete sich, um Wache am Tor zu halten.
»Denkst du nicht, du übertreibst ein wenig?«, fragte Philipp nervös.
»Das will ich doch schwer hoffen«, antwortete der junge Edelmann, leerte seinen Becher im Stehen und verschwand.
»Vielleicht solltest du dir meinen Vorschlag noch einmal überlegen, Nick«, sagte John. »Geh nach Cheshire. Mein Bruder würde dich mit offenen Armen aufnehmen, und kein Ort der Welt ist besser geeignet, um in Vergessenheit zu geraten. Weder der König noch seine Hofbeamten haben das geringste Interesse am Norden, und für die Menschen dort ist Henry kaum mehr als eine ferne Nebelgestalt. Sie haben ganz andere Sorgen als die Ehe ihres Königs. Wäre das nicht der perfekte Ort für dich?«
»Es klingt verlockend«, musste Nick bekennen. »Aber es ist leider unmöglich. Ich habe geschworen, immer in Marys Nähe zu bleiben und …«
»Nick, werd endlich wach!«, fuhr seine Schwester ihn plötzlich an. »Gestern haben sie den Bischof von Rochester verhaftet, weil er den Eid nicht leisten wollte.«
»John Fisher?«, fragte Nick erschüttert.
Sie nickte. »Einen Bischof , Herrgott noch mal! Cromwell schreckt vor nichts zurück.«
»Nein«, musste Nick zustimmen. »Und seit der König mit dem Papst gebrochen hat, genießt auch ein Bischof keinen besonderen Schutz mehr und kann des Verrats beschuldigt werden wie jeder gewöhnliche Mann. Das müsste euch Reformern doch sehr entgegenkommen. Und ich wette, Fisher kommt es auch entgegen. Er ist ein verknöcherter alter Grantler. Er isst mutterseelenallein in der düsteren Halle seines Palastes, nur mit einem Totenschädel zur Gesellschaft, hat Sir Thomas mir einmal erzählt. Ich wette, Fisher brennt darauf, ein Märtyrer zu werden …«
»Von dir hingegen hätte ich gedacht, du würdest diese Rolle lieber meiden«, warf Philipp ein.
»Oh ja«, antwortete Nick mit Nachdruck. »Das tu ich, glaub mir.«
Ein Räuspern an der Tür ließ sie alle den Kopf wenden. »Master William Roper und seine Gemahlin, Lady Meg, Mylord«, meldete Jerome ungewohnt förmlich.
Nick tauschte einen Blick mit seiner Schwester und stand auf. »Ich lasse bitten, Jerome.«
Der führte die unerwarteten Besucher in die Halle, und als Nick Lady Meg in die Augen sah, wusste er, dass seine schlimmsten Befürchtungen ihn wieder einmal nicht getrogen hatten.
Er trat auf sie zu. »Lady Meg? Was ist geschehen?«
Sie ließ den Arm ihres Gemahls los und nahm Nick bei den Händen. »Der ehrwürdige Erzbischof von Canterbury hat meinen Vater heute früh zu einer Unterredung in seinen Palast bestellt, Mylord«, begann sie bedächtig, und auf einmal konnte sie nicht weitersprechen. Sie ließ
Weitere Kostenlose Bücher