Der dunkle Thron
Gemeindemitglieder. Manche erreiche ich mit dem Boot schneller, vor allem sicherer als zu Fuß. Southwark ist keine ganz ungefährliche Gegend, wie Ihr vermutlich wisst. Ich war auf dem Heimweg, als ich im Schein der Laterne etwas Grünes im grauen Wasser sah. Es war das Wappen auf Eurem Mantel.«
Nick lächelte matt. »Ich fand dieses leuchtende Grün immer eine Spur vulgär«, gestand er. »Aber ich werde meine Meinung von heute an ändern.«
Vater Anthony lachte leise, stellte zwei hölzerne Becher auf den Tisch und schüttete den erhitzten Wein aus dem Topf hinein. Das machte er bemerkenswert geschickt, und kein Tropfen ging daneben. »Und was hattet Ihr so spät noch auf dem Fluss zu suchen?«, fragte er. »So ganz ohne Boot?«
»Oh, ich saß in einem Boot«, widersprach Nick leichthin. »Aber die Gesellschaft gefiel mir nicht sonderlich, da bin ich ausgestiegen.«
Anthony setzte sich ihm gegenüber. »Die Gesellschaft bestand aus Master Thomas Cromwell und seinen Knochenbrechern?«
»Da Ihr es schon wisst, hat es wenig Sinn zu leugnen, nicht wahr? Und wenn ich so darüber nachdenke, wäre es vermutlich besser, ich ziehe meine nassen Sachen wieder an und erlöse Euch von meiner Gegenwart, denn wahrscheinlich lässt er auch an diesem Ufer nach mir suchen.«
»Aber heute Nacht gewiss nicht mehr.«
»Verlasst Euch lieber nicht darauf. Wenn sie mich hier erwischen, seid Ihr in Schwierigkeiten.«
Anthony legte ihm für einen kleinen Moment die Hand auf den Unterarm. »Ihr müsst trocknen und Euch aufwärmen, Mylord. Trinkt den Wein, solange er heiß ist. Dann legt Euch hin und schlaft. Niemand wird heute Nacht an diese Tür klopfen, seid beruhigt. Und morgen früh wird ein Wherryman aus Southwark, der mir zufällig einen Gefallen schuldet, Euren feinen Mantel der Tower-Wache überbringen und sagen, er habe ihn mitten auf dem Fluss treibend gefunden. Alle Welt wird glauben, Ihr seiet ertrunken, und das gibt Euch Zeit, zu überlegen, wie es weitergehen soll.«
Nick wollte auf keinen Fall, dass Laura und Raymond ihn für tot hielten und um ihn trauerten, aber er war zu müde, um jetzt darüber nachzudenken.
Er nahm einen ordentlichen Zug aus seinem Becher und verbrühte sich die Zunge. »Warum wollt Ihr all das für mich tun, Vater Anthony?«, fragte er eine Spur argwöhnisch. »Ihr kennt mich doch überhaupt nicht. Und ich fürchte, ich kann Euch für Eure Güte nicht entlohnen, denn …«
»Es mag Euch verwundern, doch nicht alle Priester sind auf Geld aus«, fiel Anthony ihm schneidend ins Wort.
»Vergebt mir«, antwortete Nick ohne jede Reue. »Aber Ihr wäret der erste dieser Sorte, dem ich begegne.«
»Welch ein Jammer«, sagte Anthony kopfschüttelnd. Dann wies er auf einen schmalen Türdurchbruch, der in eine hintere Kammer führte. »Legt Euch schlafen. Mein Bett ist schmal und hart, aber es steht Euch zur Verfügung.«
»Und Ihr?«
»Ich habe eine Strohmatratze in der Kirche. Die reicht für mich.«
»Warum machen wir es nicht umgekehrt?«, schlug Nick vor.
Aber Vater Anthony winkte ab und stand auf. »Weil sich das nicht gehört. Schließlich seid Ihr Lord Waringham.«
»Aber nur noch heute Nacht«, murmelte Nick beklommen.
»Dann erfreut Euch an meinem Federkissen, Mylord.«
Die völlige Erschöpfung verhalf Nick zu ein paar Stunden tiefen Schlafs, aber lange vor Tagesanbruch wachte er auf. Er wusste sofort, was geschehen war und wo er sich befand. Mit brennenden Augen starrte er in die Finsternis, und in der Stille und allein in dieser fremden Kate erschien seine Lage ihm vollkommen hoffnungslos. Seine schweren Glieder kamen ihm vor wie erstarrt, während er daran dachte, dass Cromwells Männer jetzt, in diesem Augenblick, die Straßen von London durchkämmten und nach ihm suchten. Ganz gleich, was Vater Anthony gesagt hatte, bei jedem Geräusch zogen Nicks Eingeweide sich schmerzhaft zusammen, und er rechnete damit, dass die Tür auffliegen, dunkle Gestalten hereinstürmen und ihn in den Tower verschleppen würden, wo ihn namenlose Schrecken erwarteten. Und er dachte an die Menschen, die jetzt um ihn bangten: Laura und Philipp mit ihren beiden kleinen Töchtern in dem spärlich möblierten, schäbigen Haus in Farringdon. Jerome und John. Sein kleiner Bruder, dessen Loyalität und Zuneigung immer von dem Misstrauen getrübt gewesen waren, welches die Howard über die letzten Jahre in ihm gesät und gehegt hatten. Würde Raymond nun Gewissensqualen leiden, da er glauben musste, es sei zu
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