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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Lorenzo.«
    Das fand Lorenzo offenbar auch, denn er legte die Nase auf Nicks Schulter und schnaubte zärtlich.
    Nick brachte Sattel und Trense an ihren Platz, lief hinaus zu dem schweren Handkarren, auf dem er das Heu herbeigeschafft hatte, und nahm einen so großen Arm voll, dass er ihm die Sicht versperrte. Prompt kollidierte er mit irgendwem, als er zurückging, und das Heu fiel zu Boden.
    »Herrgott, pass doch auf, Tölpel!«
    Nick stand wie versteinert und starrte zu Boden. Es war George Boleyn.
    »Jetzt schau dir an, was du angerichtet hast«, schimpfte der Bruder der Königin und zupfte Heu von seiner goldbestickten Schaube. »Wie sehe ich nur aus?«
    »Tut mir leid, Sir«, murmelte Nick und dachte fassungslos: Er erkennt mich nicht. Er rechnet an diesem Ort nicht mit mir, und darum erkennt er mich nicht. Gewiss, Nick hatte aufgehört, sich zu rasieren, bevor er hergekommen war, und trug einen kurzen, unordentlichen Vollbart, von dem Polly behauptete, er verändere ihn fast zur Unkenntlichkeit. Trotzdem. Beim Krönungsbankett hatten sie beieinander gesessen. Am Tag der Geburt der kleinen Elizabeth hatten sie zusammen ein langweiliges Schauspiel erduldet und sich über die Mimen lustig gemacht. Wenn irgendwer aus dem Gefolge des Königspaares Nick hätte erkennen müssen, dann dieser Mann. Ich fürchte, der Tölpel von uns beiden bist du, George Boleyn, dachte Nick. Und was bei allen Heiligen hatte der Kerl hier verloren?
    »Wünscht Ihr irgendwas aus den Stallungen, Sir?«, fragte Nick, ohne den Blick zu heben.
    »Blödsinn. Ich hab mich verlaufen«, gab Boleyn mit einem Seufzen zurück. »Hol mir eine Bürste, Junge.« Es klang nachsichtig, und Nick schätzte Boleyn dafür, dass er einem Stallknecht in einer brenzligen Situation Freundlichkeit entgegenbrachte.
    »Sofort, Sir.« Er wandte sich schleunigst ab und lief zurück in den Stall.
    »Aber eine saubere!«, rief Boleyn ihm nach.
    Fahrig wühlte Nick in den Striegelbürsten, die in einem Kasten neben dem Stalltor standen, und fand eine halbwegs neue, die das Brokatgewand nicht beleidigen würde.
    »Tamkin, was machst du denn da, du solltest doch füttern«, schnauzte Sir Jeremy.
    »Der Gentleman da draußen will eine Bürste, Sir«, erklärte Nick und wies verstohlen hinaus.
    Sir Jeremy zog hörbar die Luft ein. »Hast du eine Ahnung, wer das ist?«
    Nick schüttelte knapp den Kopf.
    »Das ist der Bruder der Königin.«
    Der Stallknecht hob bockig die Schultern, als wolle er sagen: Mir doch egal.
    Sir Jeremy zog ihm eins über. »Her mit der Bürste. So was wie dich kann man ja nicht auf die feinen Herrschaften loslassen.«
    Wortlos drückte Nick ihm die Striegelbürste in die Hand und beobachtete dann aus dem sicheren Schatten, wie der Stallmeister unter vielen ehrerbietigen Verbeugungen durchs Tor trat. George Boleyn plauderte einen Moment mit ihm, befreite seine Gewänder mit ein paar nachlässigen Strichen vom Heu und ging dann gut gelaunt davon.
    Nick atmete erleichtert auf und spürte Schweiß seine Wirbelsäule hinabrinnen. Das war verdammt knapp gewesen. Nur allmählich beruhigte sein Herzschlag sich wieder, und er stellte ungläubig fest, dass seine Hände ein wenig zitterten.
    Weitere Zusammenstöße mit den hohen Herrschaften blieben ihm erspart. Es gab noch einmal ein paar Momente der Furcht, als ihm am nächsten Morgen aufgetragen wurde, das mächtige Ross des Königs vors Hauptportal zu führen, doch lange bevor er dort ankam, fand er einen furchtlosen Knappen, dem er es anvertrauen konnte.
    Nach und nach kam das Gefolge des Königs und der Königin aus dem Portal, immer mehr Pferde wurden herbeigeführt, und der gepflegte Rasen wurde zertrampelt. Lady Shelton würde nicht entzückt sein, schloss Nick grinsend, machte sich auf den Rückweg zum Stall und blieb dann im Schutz einer rosenberankten Laube stehen. Er wusste, es war unklug, aber plötzlich konnte er nicht gehen, ohne wenigstens einen Blick auf den König zu erhaschen, der – so hatten die Mägde in der Gesindeküche voller Empörung berichtet – seine kleine Tochter mit Schmuck und Spielzeugen überhäuft und beim Bankett auf dem Knie gehalten, aber seine große Tochter nicht einmal zu einem kurzen Gruß empfangen hatte. Nick musste ihn sehen, weil er ein Ziel für seinen Zorn brauchte.
    Arm in Arm mit der Königin und turtelnd wie üblich trat Henry aus dem Portal in den strahlenden Frühlingsmorgen hinaus. Sie blieben einen Moment stehen. Königin Anne trug eine dieser

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