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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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verriegelt. Leise glitt er in den dunklen Raum. Im Licht einer Votivkerze, die auf einem kleinen Altar in einer Ecke brannte, erahnte er Möbel, nachtblinde Fenster, Wandbehänge und Bilder und ein breites Bett mit geschlossenen Vorhängen, in denen Goldfäden schimmerten.
    »Wenn Ihr gekommen seid, um mich zu töten, tut es schnell«, sagte Prinzessin Mary. Ihre Stimme bebte nicht einmal. »Ich habe heute Nachmittag gebeichtet und fürchte mich nicht.«
    »Pst«, machte er eindringlich. »Ich bin’s, Hoheit.«
    Stoff raschelte hinter dem Vorhang, dann wurde es wieder still. »Lord Waringham?« Es klang fassungslos. »Seid Ihr das wirklich?« Jetzt zitterte ihre Stimme ein wenig.
    »Ja, Madam. Euer wahrhaft beeindruckender Auftritt heute früh hat mich auf die Idee gebracht, Euch auf diesem Wege einen Besuch abzustatten, aber wenn uns jemand hört, bin ich ein toter Mann. Und Ihr vermutlich auch. Ähm, kein toter Mann, natürlich …« Er biss sich auf die Zunge, damit er nicht anfing zu schwafeln. Seine Furcht verursachte ihm einen leichten Schwindel, der sich fast so anfühlte, als hätte er zuviel Wein getrunken, und das machte ihn immer redselig.
    Eine Hand erschien zwischen den Falten der Brokatvorhänge, und sie wirkte ein bisschen gespenstisch im schwachen Kerzenschimmer. »Reicht mir meinen Mantel, seid so gut. Er liegt auf der Bank am Fußende.«
    Nick trat näher, vorsichtig, um ja nicht gegen ein Möbelstück zu stoßen, fand einen langen Sommerumhang aus gefüttertem Samt und gab ihn ihr.
    Hand und Mantel verschwanden, und wenige Augenblicke später kam die Prinzessin zum Vorschein. Sie saß auf der Bettkante, die schmalen Hände kaum dunkler als das weiße Laken, auf dem sie lagen. Das dunkelblonde Haar war über die Schultern geglitten und kringelte sich in ihrem Schoß. Ihre Wangen waren ein wenig gerötet vom Schlaf, und die großen braunen Augen, die ihn so seelenruhig betrachteten, waren voller Wärme. Der Mund war eine Spur zu klein wie der ihres Vaters, das Kinn ein wenig spitz, aber in diesem Moment erschien sie ihm schön.
    Mit einem verlegenen Lächeln wandte er den Blick ab. »Ich hoffe, Ihr vergebt mein ungebührliches Eindringen, Hoheit.«
    »Mühelos«, erwiderte sie ernst. »Obwohl es in der Tat ungebührlich ist.«
    Er nickte wortlos, den Blick nach wie vor auf das kunstvoll geschnitzte Kruzifix an der Wand geheftet. Er hatte unterschätzt, welchen Unterschied es machen würde, der Prinzessin unter solch … intimen Umständen zu begegnen. Sie sah so bezaubernd aus mit dem langen offenen Haar und den nackten Füßen, die unter dem Saum ihres Mantels hervorlugten. Für dergleichen war er nicht gewappnet gewesen, und er musste sich eingestehen, dass seine Empfindungen in diesem Moment nicht so brüderlich waren, wie er Chapuys gegenüber beteuert hatte. Aber er wusste, Mary durfte das unter keinen Umständen merken. Denn ihr Ehrgefühl würde sie nötigen, ihn fortzuschicken, und dann wäre sie endgültig allein und verlassen.
    Also nahm er sich zusammen und lächelte ihr zu. »Nichts könnte mir ferner liegen, als Euch zu nahe zu treten, Hoheit. Das wisst Ihr, oder?«
    »Natürlich weiß ich das, Mylord.« Sie erwiderte sein Lächeln – scheu und eine Spur zerknirscht. Es war ein hinreißendes Lächeln, und das machte die Dinge nicht einfacher …
    »Ich bin gekommen, weil ich glaubte, an einem bitteren Tag wie diesem würde es Euch Trost spenden, einen Freund zu sehen und mit ihm sprechen zu können.«
    »Und dafür riskiert Ihr Euren Hals und klettert die Fassade hoch?«, fragte sie ungläubig. Es klang fast ein wenig spöttisch.
    Ich riskiere hier tagein, tagaus meinen Hals, egal, was ich tue, dachte er. Doch er erwiderte achselzuckend: »Es war nicht schwierig. Und unten stand keine Wache.«
    »Sie patrouillieren«, klärte sie ihn auf. »Ihr hättet ihnen auch geradewegs in die Arme laufen können. Aber ehe Ihr jetzt verschwindet, weil Ihr mich für undankbar haltet, will ich ehrlich gestehen: Ich bin froh, Euch zu sehen. Es stimmt, dies war ein schwerer Tag. Und obwohl ich eben das Gegenteil behauptet habe, habe ich mich gefürchtet, eh Ihr kamt. Damit verbringe ich jetzt den Großteil meiner Nächte: Ich liege wach und fürchte mich. Einer Prinzessin eigentlich unwürdig, denkt Ihr nicht?«
    Nick schüttelte den Kopf. »Chapuys würde vermutlich antworten, Eure Furcht beweise lediglich Eure Fähigkeit, Eure Lage illusionslos einzuschätzen.«
    »Der gute Chapuys«, gab sie

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