Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
neumodischen französischen Hauben, die sie bei Hofe eingeführt hatte und die ihr hervorragend stand, wie Nick einräumen musste. Als sie weitergingen, fiel ihm wieder das leichte Hinken des Königs auf, und ihm kam die Frage in den Sinn, ob Henry sich verstohlen auf seine Königin stütze. In dem Fall müsste man sie fast bedauern, fuhr es ihm durch den Kopf.
    Als Henry sein Pferd fast erreicht hatte, eilte ein junger Mann herbei, der anscheinend das ehrenvolle Amt der königlichen Trittleiter bekleidete: Er kniete sich vor Henry ins Gras, senkte den Kopf bis zur Erde und bot seinen Rücken als Stufe, um dem gewichtigen König das Aufsitzen zu erleichtern. Ohne den Mann auch nur eines Blickes zu würdigen, machte Henry von seinen Diensten Gebrauch.
    Auch die Königin und das Gefolge waren inzwischen aufgesessen, und die Gesellschaft war im Begriff, sich zum Aufbruch zu formieren, als eine schmale Gestalt in einem honigfarbenen Kleid auf dem Balkon über dem Portal erschien. Ohne Eile schritt sie bis an die Balustrade, wo sie reglos stehenblieb.
    »Was tust du, Mary?«, flüsterte Nick, und er spürte sein Herz schwer werden. Er ahnte, dass sie sich hier nur eine neuerliche öffentliche Demütigung einhandeln würde, wenn sie ihren Vater vor aller Augen konfrontierte.
    Der erste der Höflinge, der sie entdeckte, stieß seinen Nachbarn in die Seite und wies diskret mit dem Finger nach oben. Bald wurde es eigentümlich still auf der Wiese, und alle Blicke waren zum Balkon hinauf gewandt.
    Der König schien von all dem nichts zu bemerken, bis sein Freund Suffolk sich im Sattel ein wenig zu ihm herüberneigte und ihm etwas zuraunte.
    Verblüfft wandte Henry den Kopf, so schnell, dass seine gewaltige Hutfeder ins Wippen geriet, und blickte wie alle anderen zu der reglosen Gestalt an der Brüstung hinauf.
    Prinzessin Mary bot einen wahrhaft würdevollen Anblick in ihrem schlichten, aber doch so eleganten Kleid, mit dem hoch erhobenen Haupt und der perfekten Haltung. Alle schienen wie gebannt davon. Nick war zu weit entfernt, um zu erkennen, ob der König und seine Tochter sich in die Augen schauten, doch als Mary sicher war, dass sie die Aufmerksamkeit ihres Vater erlangt hatte, sank sie langsam auf die Knie und legte die Hände vor der Brust zusammen. Nick konnte nicht ausmachen, ob sie betete, ob sie an die alte Geste des treuen Vasallen vor seinem Lehnsherrn erinnern wollte oder ob sie ihren Vater schlichtweg anflehte – jedenfalls fühlte er seine Kehle eng werden, und er war überzeugt, ihr Anblick ließ niemanden unberührt.
    Lange blickte König Henry zu seiner Tochter hinauf, ebenso reglos wie sie, und genau wie sie schien er plötzlich alle Zeit der Welt zu haben. Fast konnte man meinen, er hätte seine Höflinge und sogar seine elegante Königin gleich neben sich vergessen. Dann endlich regte er sich, nickte Mary wortlos zu und hob die Rechte zu einer Geste des Grußes.
    Gleich darauf wendete er sein Pferd, gab ihm die Sporen und preschte so schnell davon, dass seine Höflinge Mühe hatten, ihm zu folgen.
    Die Nacht war stockfinster, denn das Wetter war umgeschlagen, und ein kühler Wind hatte dicke Wolken von der See herangetrieben. Das war Nick nur recht. Er wusste, was er vorhatte, war nicht nur für ihn lebensgefährlich, und darum war er dankbar für den Schutz der Dunkelheit. Langsam überquerte er den Rasen vor dem Hauptportal, umrundete den Springbrunnen und blieb stehen, als er erahnte, dass er das Gebäude erreicht hatte. Er streckte die Hand aus und ertastete kühlen Stein und Efeuranken.
    Nachdem er diesen Plan gefasst hatte, war er kurz vor Einbruch der Dämmerung zu seinem unzulänglichen Versteck hinter der Rosenlaube zurückgekehrt und hatte die Fassade eingehend studiert. Er wusste genau, wie er hinaufkommen würde.
    Er trat fünf Schritte nach rechts und stieg auf das Sims des dunklen Fensters. Dann richtete er sich vorsichtig auf, streckte die Arme aus und reckte sich, bis er einen Mauervorsprung ertastete, der das ganze Gebäude unterhalb des ersten Obergeschosses umlief. Er zog sich hoch, hievte das linke Knie auf den Vorsprung und wäre um ein Haar abgestürzt. Instinktiv packte er in die Efeuranken, und sie hielten. Nick war dankbar, dass Hatfield keiner der brandneuen Paläste war, das Efeu vielmehr vierzig Jahre Zeit gehabt hatte, sich ins Gemäuer zu krallen.
    Ohne weitere Missgeschicke gelangte er auf den Balkon und schlich zu der hölzernen Tür. Wie er gehofft hatte, war sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher