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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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unbelauscht waren, und manchmal lag Nick noch wach auf seiner Strohmatratze, wenn alle anderen schon schliefen, erinnerte sich an die schlüpfrigen lateinischen Reime und kicherte hilflos in sich hinein, statt sich wie früher immer nur zu fürchten.
    Auch Nicks eigentliche Aufgabe, ein wachsames Auge auf Prinzessin Marys Wohl zu haben, war einfacher geworden, denn im Gegensatz zu Nick musste Madog sich vor niemandem verstecken. Er bandelte mit einer der Kammerzofen und einer der Hofdamen an – und zwar mit beiden gleichzeitig –, und er gewann das Wohlwollen Vater Davids, des Dorfpfarrers von Eltham, indem er sich erbot, ihm die Birnen aus den hohen Bäumen zu pflücken.
    »Du wirst es nicht glauben«, raunte er Nick zu, als sie an einem warmen Spätsommerabend Mitte September nach dem Essen in die Stallungen zurückgingen. »Es gibt einen Geheimgang, der von der Dorfkirche in die Kapelle des Palastes führt.«
    »Im Ernst?«
    Madog nickte. »Vater David hat mir das erzählt. Insgesamt gibt es angeblich sogar drei Geheimgänge in den Palast, aber er kennt nur den einen.«
    »Und? Warst du drin?«
    »Nein. Ich wollte nicht zu neugierig erscheinen. Lass es uns in den nächsten Tagen probieren, wenn Vater David nicht dabei ist. Der Gang beginnt hinter dem steinernen Sarg in der Krypta, hat er gesagt. Ich schätze, das finden wir.«
    »Das ist großartig!«, befand Nick. »Wenn dieser Gang wirklich existiert, kann ich in den Palast gelangen, ohne zu riskieren, entdeckt zu werden. Polly kann Mary ausrichten, zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Kapelle zu kommen.«
    »Und du könntest dich im Beichtstuhl verstecken. Wenn irgendwer hereinkommt und die Prinzessin murmelnd vor dem Beichtstuhl erwischt, wird das nicht den geringsten Verdacht erregen.«
    »Madog, du bist ein Genie.«
    Der Waliser winkte bescheiden ab. »Ich weiß, ich weiß … Mein Bruder Rhys pflegt allerdings zu sagen, dass ich meinen überdurchschnittlichen Verstand nie für etwas anderes benutze, als unnötig komplizierte Katastrophen anzurichten. Also sind meine Vorschläge vermutlich mit Vorsicht zu genießen«, schränkte er ein.
    Rhys, hatte Nick inzwischen gelernt, war der älteste, Madog der jüngste von fünf Brüdern. Der Vater war auf dem Weg nach Frankreich bei einem Schiffsunglück ertrunken, als Madog sechs war, und von dem Tag an hatte Rhys mit einer Mischung aus Ungestüm und Fürsorge über seine Brüder, ihre streitlustige Mutter und den unkonventionellen kleinen Haushalt auf seinem bescheidenen Gut geherrscht, wo er Getreide anbaute, ein paar Pferde züchtete und jeden Penny, den sie nicht zum Leben brauchten, den Franziskanern spendete.
    Wie meistens waren Nick und Madog bei den beiden Andalusiern stehengeblieben, die sie aufgrund ihrer Herkunft Carlos und Filipe genannt hatten. Das war äußerst respektlos, denn es waren die spanischen Namen des Kaisers und seines Sohnes, doch da nur Nick und Madog sie verwendeten, konnte sich niemand darüber erregen. Filipe hörte auf zu fressen, als er ihre Stimmen vernahm, hob den Kopf und betrachtete sie einen Moment mit undurchschaubarem Blick. Dann wandte er sich wieder der Krippe zu.
    Madog strich ihm abwesend über die Flanke und fragte: »Sag, wann hast du Chapuys zuletzt gesprochen?«
    Nick überlegte kurz. »Vor drei Wochen. Er musste auf den Kontinent, wollte aber vor Anfang Oktober zurück sein. Wieso?«
    »Es geht ein Gerücht, Königin Anne habe eine Fehlgeburt erlitten.«
    »Was heißt, es geht ein Gerücht? Wer hat dir das erzählt?«
    Madog zuckte die Schultern. »Beide.«
    Das hieß, die Magd und die Hofdame. Wenn es aus zwei so unterschiedlichen Quellen kam, war es mit Sicherheit wahr. Nick gab sich keine große Mühe, sein boshaftes Lächeln zu unterdrücken. »Arme Anne. Eine Tochter, eine Fehlgeburt. Der König wird sich allmählich fragen, warum er sich all die Mühe gemacht hat, um sie zu bekommen, denn das konnte Catalina auch.«
    »Ja, es muss bitter für ihn sein.«
    Madog sprach ohne Häme, war im Gegenteil untypisch ernst. Nick hatte schon bei früheren Gelegenheiten festgestellt, dass der Waliser seine Abneigung gegen den König nicht teilte. Madogs Loyalität gehörte Catalina und Mary, aber er fühlte sich König Henry aufgrund ihrer Verwandtschaft verbunden. Dass der König von der Existenz dieser Verwandten vermutlich nichts ahnte und Madogs Familie nur eine Bastardlinie der Tudor war, spielte in den Augen des jungen Mannes keine Rolle, denn nach walisischer

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