Der dunkle Thron
Neuigkeiten von Sir Thomas und Bischof Fisher?«
Er sagte ihr das wenige, was er wusste, und es dauerte nicht lange, bis sie vertraut miteinander redeten so wie früher. Die Absonderlichkeit und Brisanz dieser Situation – die Prinzessin im Nachtgewand auf der Bettkante, Lord Waringham mit staubigen Kleidern und einem wilden Bart auf dem nackten Boden –, all das war mit einem Mal völlig ohne Belang.
Als Nick sich schließlich verabschiedete, wirkte Mary zuversichtlicher und gelöster als bei seiner Ankunft. Er versprach, spätestens beim nächsten Neumond wiederzukommen, wenn es etwas zu berichten gab. Doch während er unter leisem Efeurascheln wieder an der Fassade hinabkletterte, schalt er sich einen Feigling, weil er es nicht fertiggebracht hatte, ihr zu sagen, was er heute früh mit eigenen Augen gesehen hatte: Königin Anne war wieder guter Hoffnung.
Eltham, September 1534
Der Haushalt der kleinen Prinzessin Elizabeth blieb nicht den ganzen Sommer in Hertfordshire, sondern übersiedelte in den königlichen Palast in Eltham – das nur wenige Meilen von Waringham entfernt in Kent lag –, und es war die Rede davon, dass man vielleicht den Herbst im nahen Greenwich verbringen werde.
Nick wäre es lieber gewesen, sie wären in der Einöde geblieben, denn Eltham und Greenwich lagen viel näher an London als Hatfield, und die Gefahr eines königlichen Besuchs war dementsprechend größer. Obendrein war der Umzug ein aufwändiges und kompliziertes Unterfangen, und die Karawane aus Kutschen, Sänften, Fuhrwerken und Reitern schaffte kaum fünfzehn Meilen am Tag. Damit nicht genug, spielte sich morgens an jedem der drei Reisetage bei ihrem Aufbruch die gleiche abscheuliche Szene ab: Mary verlangte in ihrer Eigenschaft als ältere Prinzessin den Platz in der vordersten Sänfte. Lady Shelton erklärte ihr mit der gleichen Beharrlichkeit, dieser Platz stehe Elizabeth zu, die hier die einzige Prinzessin sei. Mit der düsteren Entschlossenheit einer Märtyrerin weigerte Mary sich, die zweite Sänfte zu besteigen, bis Lord Shelton vieren seiner Männer befahl, sie zu packen und in ihre Sänfte zu befördern. Mary zappelte und wehrte sich nicht, wenn sie es taten, sie bewahrte bei dieser bizarren Posse immer ihre Würde, und Lord Sheltons Männer behandelten sie mit so viel Respekt, wie die Situation zuließ. Trotzdem kicherten die jungen Hofdamen, tuschelten hinter vorgehaltener Hand und schüttelten die Köpfe über die ausrangierte Prinzessin, die einfach nicht wahrhaben wollte, dass sie ihren Rang unwiederbringlich verloren hatte. Und Nick, der die Ereignisse aus einiger Entfernung vom hinteren Ende des Trosses beobachtete, hatte jedes Mal einen schmerzenden Knoten im Magen, eine Mischung aus Zorn über seine eigene Machtlosigkeit und Scham über Marys öffentliche Niederlage. Doch an jedem Tag wurden sowohl Mary als auch Nick von den Menschen entschädigt, die die Straße säumten, um die prächtigen Sänften und Kutschen, die livrierten Herolde und fein gekleideten Edelleute vorbeiziehen zu sehen. Sie bewahrten eisiges Schweigen, wenn die Sänfte der kleinen Elizabeth sie passierte, und begannen zu jubeln, sobald Mary in Sicht kam, riefen ihren Namen und den ihrer Mutter. »Lang lebe Königin Catalina!«, skandierten sie, und hier und da war dazwischen zu vernehmen: »Nieder mit der Hure des Königs. Nieder mit Anne Boleyn!«
Lord Shelton und seine Männer, die Leibwächter der kleinen Elizabeth, konnten nichts tun, um sie zum Schweigen zu bringen, denn ihre Zahl war gering, die der Schaulustigen groß. So blieb Mary zumindest in dieser Hinsicht siegreich: In den Augen des Königs und des Parlaments mochte sie ein Bastard, ihre Mutter eine Hure sein. Doch in den Augen der Engländer war sie die Prinzessin, ihre Mutter die einzige Königin.
Als der Haushalt in Eltham eingetroffen und ein wenig zur Ruhe gekommen war, kehrte die Beschaulichkeit bald zurück, und Anfang September engagierte Sir Jeremy endlich den dringend benötigten vierten Stallknecht.
»Madog«, stellte der sich sparsam vor, und es war Carl, dem er als Erstes die Rechte entgegenstreckte.
Doch Carl spuckte ins Stroh und erklärte angriffslustig: »Dreckigen Walisern geb ich nicht die Hand.«
»Da wird der König schwer enttäuscht sein, wenn er mal auf die Idee kommt, dir die Hand zu reichen«, gab Madog mit einem entwaffnenden Grinsen zurück.
Carl runzelte ärgerlich die Stirn. »Was redest du da, Schandmaul? Der König ist kein
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