Der dunkle Thron
Gerücht gestreut. Jetzt spielte es jedenfalls keine Rolle mehr. »Tu nicht so erschüttert. Davon wird mir speiübel.«
Brechnuss fasste sich. »Ich wette, du hast ein Messer am Gürtel. Her damit.«
Nick zog es aus der Scheide, die unter seinem Kittel versteckt gewesen war, und reichte es ihr mit dem Heft voraus. »Habt ihr die Prinzessin getötet?«
Sie machte große Augen. »Ein zweijähriges Kind, mein eigen Fleisch und Blut obendrein? Was denkst du nur von mir? Lass das Messer fallen.«
Er ließ die Klinge mit einem kleinen Ruck aus dem Handgelenk schnellen, sodass sie genau vor ihrem rechten Schuh im Gras stecken blieb.
Der Lauf der Hakenbüchse kam näher, bis er nur noch einen Zoll von seinem Brustbein entfernt war.
»Antworte, Louise«, verlangte Nick. »Habt ihr Mary getötet?«
»Du willst es wirklich wissen, nicht wahr? Wie wär’s, wenn du mich auf Knien um eine Antwort anflehst?«
Er verzog angewidert den Mund und wandte den Blick ab.
Louise gab unerwartet nach. »Sie schläft, sei nur ganz unbesorgt. Tief und fest. Irgendwer hat ihr offenbar Opium in den Schlummertrunk gemischt.« Sie gluckste.
Er sah sie wieder an, die Augen verengt. »Du hast … die Becher vertauscht?«
»Es war ja so ein glücklicher Zufall, dass ich heute Abend die Ehre hatte, der ausrangierten Prinzessin das Nachtmahl zu bringen«, erwiderte sie. »Und weil ich wusste, wie durchtrieben sie ist, habe ich sie nicht aus den Augen gelassen. Irgendwie fand ich, dass sie zu lange für die Auswahl ihres Bechers brauchte. Also habe ich den, für den sie sich endlich entschied, unauffällig mit einem der anderen vertauscht.«
Nick war sprachlos. Sie waren ihrem Ziel so nahe gewesen. Alles wäre geglückt, wenn nur Brechnuss nicht im Gefolge ihrer verfluchten Königin nach Eltham gekommen wäre. Und jetzt war alles verloren. Es tut mir leid, Mary …
»Legt ihn in Ketten«, wies Louise die Wachen an.
»Glaub nicht, dass es so was hier gibt«, antwortete der mit der Büchse skeptisch.
»Dann fesselt ihn einstweilen und bringt ihn zu Lord Shelton.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schenkte Nick ein hasserfülltes Lächeln. »Heute ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich glücklich bin, dich zu sehen, Bruder .«
Im Palast war es still und dunkel, denn alle Bewohner hatten sich längst zur Ruhe begeben.
Die beiden Wachen führten Nick in eine kleine Halle im ersten Obergeschoss. Während Brechnuss davoneilte – zweifellos um Lord und Lady Shelton die frohe Kunde von der vereitelten Flucht ihrer Gefangenen zu bringen –, hielt der Soldat mit der Hakenbüchse Nick in Schach, und der andere ging umher und zündete ein paar Wandfackeln und Kerzen an.
Als er schließlich zurückkehrte, nahm Nick seinen Mut zusammen und fragte: »Wie ist dein Name?«
Der Mann war sehr bleich, seine Kiefermuskeln verkrampft. Er schien versucht, ihm die Antwort zu verweigern, aber schließlich knurrte er: »George Elland.«
»Ich bedaure, dass ich deinen Bruder getötet habe, George Elland. Das wollte ich nicht.«
»Ach nein?«, erwiderte Elland bitter. »Warum hast du ihm dann die Klinge in die Kehle gerammt, du verräterischer Hurensohn?«
»Weil ihr mich daran hindern wolltet, das zu tun, was ich für richtig hielt. Denn ganz gleich, was man euch einredet, Mary ist die einzige rechtmäßige Prinzessin in England, und niemand hat das Recht, sie gefangen zu halten.«
Seine politischen Ausführungen beschwichtigten George Elland erwartungsgemäß nicht, der Anstalten machte, ihm ins Gesicht zu spucken. Nick riss den Kopf zur Seite und sah deswegen die Faust nicht kommen, die in seiner Magengrube landete. Hustend fiel er auf die Knie. Ein mörderischer Tritt traf seinen Kopf, und Nick landete auf den kalten Marmorfliesen. Er konnte nichts tun, nicht einmal den Kopf mit den Armen schützen, denn sie hatten ihm die Hände auf den Rücken gebunden.
Doch als Lord Sheltons bedächtige Stimme befahl: »Ich denke, das reicht fürs Erste«, hörten die Tritte augenblicklich auf.
Nick rollte sich auf die Seite, zog die Knie an und kam ohne fremde Hilfe, wenn auch nicht ganz ohne Mühe auf die Füße.
Lord Shelton starrte ihn ungläubig an. » Du? Aber wie in aller Welt …« Er brach ab. Barhäuptig, das Haar zerzaust, eine knielange Samtschaube mit Brokatkragen über dem Nachthemd – der Chamberlain hatte schon würdevoller ausgesehen. Hoffnungslos verwirrt wandte er sich an Louise. »Aber wie sollte es möglich sein, dass
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