Der dunkle Thron
Herolden, Pagen und ihrer Eskorte in Eltham eintraf, verirrte sich kein einziger von ihnen in die abgelegenen Stallungen. Nick und Madog schufteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und fanden kaum Zeit, nervös zu werden, als der Tag ihrer Flucht näherrückte.
Der Sonnabend begann wolkenverhangen, aber trocken, und die Stallknechte wurden angewiesen, eine größere Zahl Pferde zu satteln, weil die Königin mit Lord und Lady Shelton und einigen ihrer Damen zur Falkenjagd reiten wollte.
»Lady Marys Stute auch«, trug Sir Jeremy Madog auf.
Der nickte willig, fragte aber: »Sie nimmt Lady Mary mit zur Jagd?«
»Sieht so aus«, antwortete der Stallmeister knapp und scheuchte ihn mit einer Geste an die Arbeit. »Und das geht dich einen Dreck an!«
Nick und Madog wechselten einen Blick, aber ganz gleich, was das zu bedeuten hatte – sie konnten nichts tun als warten und beten. Nick war dankbar, dass er und Chapuys sich dagegen entschieden hatten, Marys Carina mit auf die Flucht zu nehmen, denn so ausdauernd die hübsche Schimmelstute auch war, wäre sie nach einem Tag auf der Jagd sicher zu erschöpft für einen schnellen Ritt von fünfzehn Meilen gewesen.
Das Wetter war perfekt für die Beizjagd, die adlige Gesellschaft ausgelassener Stimmung und erfolgreich, und die Pferde kamen spät zurück. So war es schon nach acht, als Nick und Madog endlich alle Arbeit getan hatten und sich verdrücken konnten.
»Wir sollten uns beeilen«, drängte Mickey. »Der Köchin ist zuzutrauen, dass sie die Küche abschließt, eh wir gegessen haben.«
»Geht nur«, erwiderte Madog. »Tamkin und ich haben noch was zu erledigen.«
Carl und Mickey schöpften keinen Argwohn, denn sie wussten, dass die beiden anderen Stallknechte einen nicht geringen Teil ihres Lohns ins Wirtshaus trugen.
Madog sah ihnen nach, als sie hinter dem Stallgebäude verschwanden, und murmelte: »Der Kleine wird mir richtig fehlen. Netter Junge.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte Nick zerstreut und sah sich aufmerksam um. Weit und breit keine Menschenseele. »Los, komm.« Er wünschte plötzlich, sie wären wirklich auf dem Weg ins Wirtshaus, denn sein Mund war staubtrocken.
An der verwitterten Futterhütte im Wald fanden sie die drei Pferde, die Chapuys ihnen versprochen hatte: unauffällige braune Wallache wie Tausende andere mit schlichten Sätteln und Zaumzeugen.
»Kein Damensattel«, bemerkte Madog. »Die Prinzessin wird schockiert sein.«
Aber Nick wusste es besser. »Schnelligkeit ist heute Nacht unser oberstes Gebot, und das weiß sie sehr wohl.«
Er trat zu dem vorderen der Pferde, befühlte die Beine und sah sich die Hufe von unten an. Madog schaute dem zweiten ins Maul. Nach wenigen Augenblicken hatten sie sich zu ihrer Zufriedenheit vergewissert, dass alle drei Tiere in gutem Zustand waren.
»Also dann«, sagte Nick, löste einen der Zügel vom Gestänge der Futterkrippe und hielt ihn Madog hin. »Es wird Zeit.«
Madog nickte, schloss ihn kurz in die Arme, nahm dann den Zügel und saß auf. »Wir sehen uns eine Stunde nach Mitternacht.«
»Sei vorsichtig.«
»Ihr auch.« Madog winkte noch einmal kurz, wendete sein Pferd und verschwand unter vernehmlichem Rascheln in einem Haseldickicht.
Nick atmete auf. Schritt eins war schon einmal reibungslos verlaufen. Nun hieß es warten.
Er blieb im Wald, bis es dämmerte, fand auf einer kleinen Lichtung einen wahren Teppich aus Blaubeeren und dankte Gott für dieses unerwartete Abendessen. Schließlich kehrte er auf das Gelände des Palastes zurück und schlich zu seinem Gesindehaus. Weder Polly noch die Kinder waren dort, und ihre wenigen Habseligkeiten waren verschwunden. Gut so. Inzwischen waren sie wahrscheinlich in St. Thomas eingetroffen und saßen hinter den sicheren Mauern des Klosters bei einer Schale Suppe. Er wünschte ihnen Glück. Die Frage, ob er seine beiden Kinder je wiedersehen würde, wollte sich anschleichen, aber er scheuchte sie fort. Für solche Gedanken war Zeit, wenn er Prinzessin Mary nach Gravesend und an Bord des Schiffes gebracht hatte, aber jetzt nicht.
Als er zum zweiten Mal in den Wald ging, war es völlig dunkel geworden. Er fand den Weg indessen ohne Mühe, denn inzwischen kannte er sich in diesem Wald beinah so gut aus wie in seinem eigenen.
Die beiden Braunen waren zwei große, dunkle Umrisse in der Finsternis, und er hörte das leise Klimpern der Trensen, ehe er sie sah. Nick murmelte ein paar Nettigkeiten, band die Tiere los, nahm beide Zügel in die
Weitere Kostenlose Bücher