Der dunkle Thron
ein hergelaufener Stallknecht …«
»Stallknecht?«, unterbrach Louise ungläubig, und im Licht der Kerzen sah sie jetzt zum ersten Mal Nicks Kleidung. »Du hast dich hier als Stallbursche eingeschlichen?« Die Vorstellung schien sie zu amüsieren, und es funkelte in ihren dunklen Augen. »Wie aufopferungsvoll. Bedenkt man, dass du Angst vor Pferden hast …«
»Eingeschlichen?«, fiel Shelton ihr ins Wort. »Was soll das heißen, eingeschlichen? Dieser Kerl arbeitet seit fast zwei Jahren hier. Der Beste, den er je hatte, behauptet der Stallmeister.«
»Wirklich?«, erwiderte Louise trocken und verschränkte die Arme vor der Brust. »Nun, falls es so ist, Mylord, ist es kein Wunder. Schließlich ist er ein Waringham.«
Lord Shelton stand wie vom Donner gerührt, den Mund leicht geöffnet. Als sein Blick von Louise zu Nick glitt, schlich sich ein Anflug von Furcht in seine Augen. Dann nahm er sich zusammen, räusperte sich und trat einen kleinen Schritt auf ihn zu. »Wie ist dein Name?«
Nick wusste, dass es nichts mehr nützen würde, aber er klammerte sich an seine Tarnung wie ein Ertrinkender an ein Stück Treibholz. »Tamkin Nicholson, Mylord.«
Brechnuss prustete unfein. » Tamkin? Das ist ja köstlich …«
»Sei still, alberne Gans«, fuhr Shelton sie an.
Aber seine Schroffheit konnte ihre beinah hysterische Heiterkeit nicht trüben. »Ich versichere Euch, Cousin, dieser Mann ist …«
»Ja, du meine Güte, was ist denn das für ein nächtlicher Auftrieb?«, fragte eine dunkle Frauenstimme von der Tür. Shelton und die beiden Wachen wandten sich um und verneigten sich, Brechnuss knickste anmutig.
»Majestät, ich hoffe inständig, wir haben Euch nicht geweckt?«, fragte Shelton scheinbar devot, aber Nick kam es vor, als hätte er Mühe, seinen Unwillen zu verbergen.
Königin Anne lächelte flüchtig. »Keineswegs, Mylord.« Sie war vollständig bekleidet – in kostbare Roben gehüllt und wie üblich mit so viel Geschmeide behangen, dass man sich fragen musste, wie sie sich trotz des Gewichts aufrecht hielt. »Die Prinzessin leidet an Husten, wie Ihr zweifellos wisst, und ich habe bei ihr gewacht. Eine dieser nichtsnutzigen Ammen ist nicht zum Nachtdienst erschienen …« Es klang träge, eine Spur gelangweilt, und ebenso unschlüssig waren die Schritte, mit denen sie in die Halle trat. Dann fiel ihr Blick auf den Gefesselten. »Nanu, Lord Waringham! Welch unverhoffte Freude. Und welch unpassender Aufzug, wenn Ihr meine Offenheit verzeihen wollt.«
Nicks Verbeugung war nicht viel mehr als ein Nicken. »Madam.«
Lord Shelton besaß offenbar die Gabe, sich rasch auf eine neue Lage einzustellen. Er fragte die Königin: »Ihr wisst nicht zufällig, wie die Amme heißt, die ihren Dienst versäumt?«
Anne Boleyn machte eine vage Handbewegung. »Molly … Polly … etwas in der Art.«
Shelton betrachtete Nick mit verengten Augen. »Wo ist sie?«
Nick hob langsam die Schultern. »An einem Ort, wo Ihr sie nicht erreichen könnt, Shelton.«
Der Chamberlain blinzelte fast unmerklich über die radikale Veränderung in Nicks Tonfall. »Wo? Und der walisische Herzensbrecher? Ich schätze, auch er war Euer Komplize?«
»Wäret Ihr so gut, mir zu verraten, was hier vorgeht, Cousin?«, fragte Königin Anne gereizt.
Shelton zögerte einen Augenblick, und so war es Louise, die antwortete. Sie zeigte mit dem Finger auf Nick. »Er hat sich hier als Stallbursche eingeschlichen, Majestät. Heute Nacht wollte er Lady Mary zur Flucht verhelfen. Es war nur ein glücklicher Zufall, dass ich es verhindern konnte.«
Die Königin wandte sich an den Übeltäter. »Sieh an. Was für ein Abgrund der Niedertracht, Mylord. Ihr enttäuscht mich schwer. Sprachen wir nicht bei meiner Krönung über die schöne Tugend der Aufrichtigkeit?«
»Ich würde mir an Eurer Stelle gut überlegen, ob Ihr es Euch leisten könnt, mir moralische Vorhaltungen zu machen«, gab Nick rüde zurück.
Shelton packte ihn mit einem wütenden Knurren am Arm, aber die Königin hob gebieterisch die Hand. »Moment noch, Cousin. Ich hätte gern eine Erklärung, Mylord of Waringham. Ihr verweigert dem König und mir die geschuldete Treue und den Eid auf das Thronfolgegesetz. Ihr hintergeht uns und schmiedet Ränke mit Mary, diesem unbelehrbaren, halsstarrigen Monstrum. Und zweifellos seid Ihr auch derjenige, der den Kontakt zwischen ihr und Chapuys gehalten hat, der uns allen solche Rätsel aufgab. Kurzum, Waringham, Ihr seid ein Verräter. Und
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