Der dunkle Thron
Rechte und machte sich auf den Rückweg. Er ging langsam, und die beschlagenen Hufe verursachten auf der grasbewachsenen Erde nur schwache, dumpfe Laute. Kaum hatte er die Pforte zum Palastgarten erreicht, hörte er die Uhr der Kapelle elf schlagen.
Nick lauschte, legte einem der Pferde die freie Hand auf die Nüstern, weil ihn das beruhigte, und betete. Bitte, Gott, gib ihr eine Chance. Sie hat so lange ausgehalten, für ihre Ehre, für die ihrer Mutter und für dich. Lass es ein Ende haben und hilf ihr …
Er hörte etwas. Er war nicht sicher, aber es klang wie ein verhaltenes Rascheln auf der anderen Seite der Gartenpforte. Schritte im Gras? Sein Herzschlag beschleunigte sich, und er hatte den Atem angehalten. Als er das merkte, holte er langsam tief Luft.
Der inzwischen gut geölte Riegel auf der anderen Seite glitt leise zurück, und das Törchen schwang nach außen.
»Hoheit?«, wisperte Nick.
Lautlos wie ein Schatten schlüpfte sie durch den Spalt und machte warnend: »Pst.«
Er konnte sie kaum erkennen, erahnte nur einen dunklen Mantel und eine Kapuze. Ohne weitere Worte zu verschwenden, befingerte er das Zaumzeug des linken Pferdes, bis er sich orientieren konnte, schlang dem Tier den Zügel über den Kopf und führte es einen Schritt näher auf Mary zu. Sie ergriff den Zügel mit der Linken, und Nick verschränkte die Hände ineinander und beugte sich vor, um ihr beim Aufsitzen zu helfen.
»Très charmant.« Mit einem Mal sprach sie sehr laut, und statt den Fuß in die dargebotene Räuberleiter zu stellen, trat sie ihn genau vor die Kinnspitze.
Aber Nick fiel nicht hin. Sein Körper reagierte schneller auf den Klang dieser Stimme als sein Verstand, denn noch ehe er wirklich begriffen hatte, wer durch dieses Gartentor gekommen war, hatte er sich halb weggeduckt. Ihm war, als kräusele sich seine Kopfhaut vor Entsetzen, und die Härchen auf Armen und Beinen richteten sich auf. »Louise …«
»Ergreift ihn, los, worauf wartet ihr?«, befahl seine Stiefschwester, und mit einem Mal wurde die Nacht gleißend hell, so schien es ihm, als drei Wachen aus dem Tor traten, von denen zwei Fackeln trugen.
Das Tor war schmal, die Wachen drängelten ein wenig, und Nick nutzte seine Chance. Er riss das Schwert unter dem Sattelblatt des zweiten Pferdes hervor, wo Chapuys es versteckt hatte, griff einen der Soldaten an und hieb ihm die Fackel aus der Hand. Ehe sein Gegner die Klinge ziehen konnte, rammte Nick ihm die seine in die Kehle. Mit einem schauderhaften gurgelnden Schrei brach der Sterbende in die Knie. Nick befreite sein Schwert mit einem kleinen Ruck und dachte fassungslos: Das war ich. Ich hab das getan. Ich habe einen Menschen getötet …
»Keine Bewegung, Mann«, knurrte der Kerl ohne Fackel.
Was soll das denn heißen?, dachte Nick verwirrt, fuhr mit erhobener Klinge zu ihm herum und erstarrte – wie befohlen. Der Soldat hatte den Lauf einer Hakenbüchse auf ihn gerichtet. Er sah vollkommen lächerlich aus, denn er hielt den Kopf seltsam schräg und hatte ein Auge zugekniffen, um mit dem anderen zu zielen. Doch Nick verspürte keinerlei Versuchung zu lachen. Er wusste, diese Dinger schlugen bestialische Löcher. Er empfand indessen mehr Wut als Furcht. Was für eine feige Waffe, dachte er angewidert. »Wie ist das, einen Mann auf zehn Schritte Entfernung zu töten?«, erkundigte er sich, und sein Blick fiel auf den Verblutenden im Gras. Der lag jetzt still und gab keinen Laut mehr von sich, aber immer noch quoll Blut im Pulsrhythmus aus der klaffenden Wunde. Im Fackelschein glänzte es schwarz. Dann versiegte der Strom. »Leichter, nehme ich an. Man muss die Schweinerei nicht sehen, die man angerichtet hat, he?«
»Halt’s Maul, du verfluchter Hurensohn!«, schrie der mit der verbliebenen Fackel ihn an. Als er drohend nähertrat, sah Nick Tränen über seine Wangen laufen. Und das war kein Wunder. Er war das Ebenbild des Toten – zweifellos sein Bruder. »Lass die Waffe fallen, oder ich schwöre, ich drück meine Fackel in deiner Visage aus!«
Nick warf ihm das Schwert vor die Füße, und zum ersten Mal fiel der Schein der verbliebenen Fackel auf sein Gesicht.
Seine Stiefschwester zog erschrocken die Luft ein. »Du?«
Er musste sich zwingen, ihr in die Augen zu sehen, doch als er es tat, war seine Miene ausdruckslos. »Überrascht?«
Sie schüttelte langsam den Kopf – fassungslos. »Aber du … du bist nach Wales geflohen.«
Nick nahm an, Laura, Philipp und John hatten dieses
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