Der dunkle Thron
Arme und Kranke versorgen …«
Boleyn zuckte die Achseln. »Was weiß ich. Mir kann es ja im Grunde auch egal sein, denn ich werde es nicht mehr erleben, schätze ich. Jedenfalls ist es Cromwell verdammt ernst damit. Er will diese gottlosen Stätten der Völlerei und Unzucht ausmerzen, wie er es ausdrückt, aber er will mit dem Reichtum der Klöster vor allem die leeren Kassen der Krone füllen. Die Königin war der Auffassung, wenn man die Klöster schon auflöse, müsse man ihr Vermögen verwenden, um Spitäler und Waisenhäuser zu bauen und ihre karitativen Aufgaben zu ersetzen, aber Cromwell war anderer Meinung. Sie haben ziemlich darüber gestritten …« Er brach unvermittelt ab und sah Nick mit großen Augen an. »Vielleicht war es das. Er hat geahnt, dass sie den König in der Klosterfrage letztlich auf ihre Seite ziehen würde, und darum will er sie vernichten.«
Nick antwortete nicht. Möglicherweise hatte diese Meinungsverschiedenheit den Sturz der Königin beschleunigt; die eigentlichen Gründe waren indes andere. Doch wenn George Boleyn sich mit dem Hirngespinst trösten konnte, ihre noble Gesinnung sei seiner Schwester – und ihm selbst – zum Verhängnis geworden, dann hatte er Nicks Segen.
»Weißt du, Waringham, im Grunde habe ich immer gewusst, dass es nicht ewig währen konnte und vermutlich ein böses Ende nehmen würde. Königin Anne Boleyn und ihr Bruder Lord Rochford. Was für ein monumentaler Witz. Sicher, irgendwo in nebligen Fernen steht der Name König Edwards I. in unserem Stammbaum, weil mein Vater ambitioniert geheiratet hat, aber letztlich sind wir doch nur kleine Landjunker. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir kein Anrecht auf all die Ehren und schönen Titel hatten. Wir waren wie Kinder, die in den Schuhen ihrer Eltern herumstolzieren. Und jetzt zahlen wir den Preis für unseren Hochmut …«
Nick konnte ihm nicht widersprechen, denn er fand, das war nichts als die Wahrheit. Aber er rechnete George Boleyn seine Fähigkeit zur Selbsterkenntnis hoch an. »Wie immer das sein mag, du hast dir überhaupt nichts angemaßt, George. Du bist irgendwie einfach nur … hinter deiner Schwester einhergestolpert.«
»Jesus, was für ein Nachruf …«, murmelte Boleyn und raufte sich die Haare.
Am 12. Mai wurden Henry Norris, Francis Weston, William Brereton und Mark Smeaton vor Gericht gestellt und des Hochverrats schuldig gesprochen. Drei Tage später wurde auch der Königin und ihrem Bruder unter dem Vorsitz ihres Onkels, des Duke of Norfolk, der Prozess gemacht, und wenngleich beide alle Vorwürfe entschieden zurückwiesen, befand das Gericht auch sie für schuldig. Die Aussage von Georges Gemahlin, Lady Rochford, die Norfolk vorlas, wog am schwersten: Sie hatte behauptet, ihr Gemahl habe sich vor ihr damit gebrüstet, bei verschiedenen Gelegenheiten die Nacht mit seiner Schwester, der Königin, verbracht zu haben, und obendrein habe er in Zweifel gezogen, dass der König der Vater der kleinen Prinzessin Elizabeth sei. Welchen Grund könne eine Frau haben, solch abscheuliche Vorwürfe gegen ihren eigenen Gemahl vorzubringen, wenn nicht den, ihr Gewissen erleichtern zu müssen?
George Boleyn verteidigte sich mutig und eloquent. Er schonte sich nicht, als er dem Gericht beschrieb, wie schamlos er seine unglückliche Gemahlin betrogen hatte, ohne sich auch nur um Diskretion zu bemühen. Er hatte sie erniedrigt, sie hatte ihn dafür gehasst und nun ihre Rache genommen.
Doch Norfolk nahm lediglich das Geständnis zu Protokoll, dass Lord Rochford ein gewissenloser Ehebrecher sei, und verlas schließlich das Urteil, das bereits ausformuliert vor ihm auf dem Tisch lag: »Im Namen des Königs befinden wir Euch des Hochverrats für schuldig. Zur Strafe für Eure abscheulichen Vergehen sollt Ihr zur Richtstätte nach Tyburn geschleift werden, wo Ihr am Halse aufgehängt werdet, dann soll man Euch lebend vom Galgen nehmen, Euch Herz und Eingeweide aus dem Leibe schneiden und entmannen. Dann soll man Euch vierteilen. Der König begnadigt Euch indes zum Tod durch Enthaupten. Das Urteil wird in zwei Tagen auf dem Tower Hill vollstreckt. Möge Gott Eurer Seele gnädig sein. Abführen.«
»Da, hört ihr das?« George Boleyn lauschte der Glocke von St. Peter ad Vincula mit konzentriert gerunzelter Stirn. »Zehn … elf … zwölf. Mitternacht. Also noch acht Stunden ungefähr.« Er hob den Becher, fand ihn aber leer und sah sich suchend um. »Wo hast du den Krug hingestellt, Bengel? Her
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