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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Schlüssel rasselte, und die Stille, die zurückblieb, war dick und zäh wie Harz. Beinah verstohlen sahen die Brüder sich an, und Nick kam die Frage in den Sinn, ob ihm die Furcht auch so deutlich ins Gesicht geschrieben stand wie Raymond.
    »Was … werden sie tun?«, fragte der Junge, sehr um einen gelassenen Tonfall bemüht.
    »Schwer zu sagen«, antwortete Nick. »Es hängt davon ab, was Cromwell von ihm will. Wenn es ein Geständnis für irgendein erfundenes Vergehen ist, möchte ich nicht mit George tauschen.« Aber das musste er ja auch gar nicht. Seine Stunde würde auch noch kommen, das hatte Cromwell ihm ja eben versprochen … »Warst du bei ihm, als er festgenommen wurde?«
    Raymond schüttelte den Kopf. »Ich …« Er brach ab und wandte das Gesicht ab. »Ich versteh das alles nicht«, bekannte er tonlos.
    Nick stand auf, trug seinen Stuhl zum Tisch zurück und räumte das Buch in die Truhe. »Setz dich hin, Ray. Ich glaube, es wird Zeit, dass wir reden.«
    »Ich will aber nicht mit dir reden«, versetzte der Junge bockig. »Du lässt dir nichts anmerken – darin warst du immer schon gut –, aber ich weiß, dass du innerlich frohlockst.«
    »Worüber genau?«, fragte Nick bissig. »Es sieht nicht gerade rosig für mich aus …«
    »Nein, ich weiß. Aber für die Boleyns sieht es noch schlimmer aus als für dich. Welch eine Genugtuung das sein muss. Aber sie sind meine Cousins, und sie waren immer gut zu mir, seit ich an den Hof gekommen bin. Vor allem die Königin. Mein Onkel Norfolk … Es ist nicht gerade ein Honigschlecken mit ihm, weißt du, aber Königin Anne hat mich oft vor ihm in Schutz genommen, vor allem zu Anfang, als ich noch keine Ahnung hatte, wie’s am Hof zugeht, und ganz starr vor Angst war. Sie … und Louise natürlich. Vor einem halben Jahr hat Königin Anne mich in ihren Haushalt genommen, und Onkel Norfolk war so stolz … Endlich hatte ich mal das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben und ihn nicht zu enttäuschen, und manchmal kam er abends in ihre Halle, und wir haben musiziert und gespielt und … und alles war leicht und heiter. Die Königin kann so … unbeschwert sein und so lustig. Es war großartig …« Er brach ab.
    Die Vorstellung, dass ausgerechnet Anne Boleyn seinem Bruder einen sicheren Hafen und Halt geboten hatte, befremdete Nick. In seiner Vorstellung war sie das eiskalte, durchtriebene Miststück, das die rechtmäßige Königin verdrängt und ihn, nebenbei bemerkt, um ein Haar umgebracht hatte. Natürlich wusste er im Grunde seines Herzens, dass es eine andere Anne geben musste als die, welche er kannte, aber ihm war nicht wohl dabei, ihr ausgerechnet jetzt zu begegnen. Doch konnte er sein Glück kaum fassen, dass Raymond ihm plötzlich diesen Einblick in sein Leben gestattete, und er wollte nichts sagen oder tun, was den Zauber brechen könnte. Darum fragte er fast schüchtern: »Und dann?«
    Raymond warf ihm einen raschen, argwöhnischen Blick zu, flegelte sich in den Stuhl ihm gegenüber und sagte mit vorgetäuschtem Gleichmut: »Dann kam er und hat sie verhaftet.«
    »Wer?«
    »Onkel Norfolk.«
    »Was?«
    Raymond zuckte die Schultern und nickte nachdrücklich. »Er kam mit vier Wachen herein, hat auf einen Punkt über ihrer Schulter an die Wand gestarrt und so getan, als wär sie eine Fremde. ›Majestät, ich verhafte Euch im Namen des Königs. Ihr steht unter dem Verdacht, Euch des Verrats schuldig gemacht zu haben.‹ Und sie war noch nicht mal überrascht.«
    »Nein«, murmelte Nick nachdenklich. »Vermutlich nicht. Du hast völlig recht, wenn du mir vorwirfst, dass ich keine große Sympathie für Königin Anne hege, aber nicht einmal ich würde ihr absprechen, dass sie eine sehr gescheite Frau ist. Darum hat sie es kommen sehen.«
    »Aber wieso ?« Der Junge ließ die Fäuste auf die Armlehnen niederfahren. »Und wieso stellt Norfolk, ihr eigener Onkel, sich plötzlich gegen sie? Und Cromwell, der immer ihr Freund war?«
    Nick wählte seine Worte mit Bedacht und sagte nicht: Weil Norfolk und Cromwell gewissenlose Opportunisten sind, die immer zuerst an die eigene kostbare Haut denken, obwohl es zweifellos stimmte. Er sagte auch nicht: Weil Anne Boleyn ein hinterhältiges Luder ist und jetzt in die Grube fällt, die sie Königin Catalina gegraben hat , obwohl es ihm verdammt schwerfiel. Er ließ ein paar Augenblicke verstreichen und fragte dann: »Versteh mich nicht falsch, Ray, aber ist dir nie der Gedanke gekommen, die Königin könnte

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