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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Hände auf den Rücken binden, aber er bat höflich: »Augenblick noch.« Er trat zu Raymond und legte ihm die Linke auf die Schulter. »Gott segne dich, Cousin. Hab Dank für deine Treue.« Sein Blick fiel auf den Ring mit dem großen Rubin, den er am Zeigefinger trug. Er zog ihn ab und hielt ihn dem Jungen hin. »Hier. Damit du mich in Erinnerung behältst.«
    »Danke, Mylord.« Raymond schloss die Faust um den Ring und senkte den Kopf. Eine Träne landete auf seiner Schuhspitze.  
    Boleyn wandte sich an Nick und schloss ihn in die Arme. »Danke, Waringham. Und leb wohl.«
    »Glückliche Reise, George.«
    Von den kleinen Fenstern der Kammer aus sahen sie die wogende Menschenmenge, die sich auf dem Tower Hill eingefunden hatte, um die fünf »Verräter« sterben zu sehen. Sie bildete eine Gasse, als die Verurteilten, flankiert von einem Dutzend Towerwachen, den Weg den grünen Hügel hinauf antraten. Langsam, mit gesenkten Köpfen, gingen sie hintereinander, nur den letzten hielten zwei der Yeoman Warders gepackt. Halb trugen, halb schleiften sie ihn zur Richtstätte. Mark Smeaton, vermutete Nick, der aber nicht zu zappeln schien und sich auch nicht loszureißen versuchte, sondern wahrscheinlich nicht ohne Hilfe laufen konnte.
    Dreckklumpen und welke Kohlköpfe flogen, und die Wachen mussten die Menge mehrfach mit waagerecht ausgestreckter Pike zurückdrängen. Nick und Raymond konnten nicht viel hören, aber es war unübersehbar, dass die Schaulustigen blutgieriger Stimmung waren.
    »Wie sie sie hassen«, murmelte Raymond. »Dabei kennen sie sie gar nicht. Sie wissen überhaupt nicht, wen sie mit Dreck bewerfen …«
    »Nein. Aber sie halten Königin Catalina immer noch die Treue, und darum verabscheuen sie alle Boleyns. Und du kannst sicher sein, dass die Londoner davon überzeugt sind, fünf Schuldige sterben zu sehen. Dafür wird Cromwell gesorgt haben. Anne Boleyn kann wirklich froh sein, dass ihr der Gang auf den Hügel hinaus erspart bleibt. Vermutlich würde die Menge sie in Stücke reißen, ehe dieser Spezialist aus Calais sie schmerzlos ins Jenseits befördern kann …«
    »Was du vermutlich liebend gern sehen würdest«, argwöhnte Raymond.
    Nick sah ihn kurz von der Seite an, dann blickte er wieder auf den Tower Hill hinaus. »Nein, das würde ich nicht sagen. Aber im Gegensatz zu dir werde ich ihr keine Träne nachweinen. Und ich bin froh, dass ich ihre Hinrichtung voraussichtlich noch erleben darf. Das ist nicht besonders christlich von mir, aber ich kann nichts dagegen tun.«
    George Boleyn bekleidete als Viscount Rochford den höchsten Rang der Verurteilten und war deswegen der Erste. Der Priester begleitete ihn die wenigen Holzstufen zum Richtblock hinauf. George sprach kurz mit dem maskierten Henker. Ein treffsicher geworfenes Ei erwischte ihn an der Brust und zerbarst, aber er schien es nicht einmal zu bemerken. Ein letztes Mal küsste er das Kruzifix, das sein geistlicher Beistand ihm reichte, hob den Kopf und sprach einige wenige Worte. Dann kniete er sich vor den Block.
    »Wenn du hinschaust, Ray, wird das Bild dich für den Rest deines Lebens begleiten«, warnte Nick seinen Bruder. »Und es könnte passieren, dass du deinen geliebten König irgendwann dafür hasst. Das würde George nicht wollen. Also schließ lieber die Augen.«
    »Lass mich in Ruhe«, gab der Junge wütend zurück und stierte unverwandt aus dem Fenster, während der Scharfrichter die Axt hob. Als sie niedersauste, fuhr Raymond zusammen, aber das war alles. Er blieb reglos am Fenster stehen, bis alle fünf Hinrichtungen vorüber waren. Dann wandte er sich ab, ohne Nick eines Blickes zu würdigen, verzog sich hinter die Bettvorhänge und kam erst wieder zum Vorschein, als Jenkins ihnen bei Einbruch der Dämmerung Brot und Bier brachte.
    »Wieso schickt Ihr Euren Bruder nicht in die Küche runter, Mylord«, fragte er brummelig. »Ich hab auch noch was anderes zu tun, als Euch den Hintern nachzutragen …«
    Nick reichte ihm einen halben Schilling. »Was hat er gesagt?«
    »Wer?«
    »Wer schon. Boleyn natürlich.«
    Jenkins steckte seinen Lohn ein und dachte kurz nach. »Wie war das gleich wieder … ›Ich bin nicht hergekommen, um zu predigen, sondern um zu sterben. Ich schwöre bei Gott und allen Heiligen, dass ich der Vergehen unschuldig bin, für die man mich verurteilt hat, aber ich unterwerfe mich dem Gesetz und dem Willen des Königs.‹ So in der Art.«
    »Gut für dich, George«, murmelte Nick.
    Raymond schob den

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