Der dunkle Thron
unwillkürlich die Stimme. »Cromwell und der König wollen nur sicherstellen, dass auch die kleine Prinzessin Elizabeth ein Bastard ist, genau wie ihre große Schwester, die du immer Prinzessin nennst.«
»Tja, Ray. Wie es aussieht, wechselt der schöne Titel einer Prinzessin heutzutage schneller als der des Lord Chancellor …«
»Ich sehe wirklich nicht, was daran komisch sein soll«, konterte Raymond.
»Nein, ich weiß.« Es war auch nicht komisch. Aber Nick kam einfach nicht umhin, an Marys statt ein gewisses Maß an Schadenfreude zu empfinden: Die kleine Schwester, mit deren angeblicher Vorrangstellung man Mary jahrelang gedemütigt hatte, saß auf einmal mit im Boot der ausrangierten Prinzessinnen … »Und unter welchem Vorwand hat Erzbischof Cranmer die Ehe für ungültig erklärt?«
»Anne Boleyns Schwester Mary war einmal die Geliebte des Königs«, antwortete Raymond.
»Das war nie ein Geheimnis.«
»Nein. Aber streng ausgelegt, macht es die Ehe inzestuös und darum ungültig.«
Nick schüttelte fassungslos den Kopf.
»Das alles wird niemandem mehr interessieren, wenn die neue Königin einen Sohn bekommt«, sagte Raymond wegwerfend.
Er hatte recht. Aber offenbar hatten Cromwell und Cranmer ihre Zweifel, dass das je geschehen würde. Und das war kein Wunder im Lichte dessen, was George Boleyn Nick über die Schwierigkeiten des Königs anvertraut hatte. »Gott helfe Jane Seymour«, murmelte er beklommen. »Und hast du schon gehört, wann er sie heiraten wird?«
»In zehn Tagen.«
Nick pfiff vor sich hin. »Henry verschwendet wirklich keine Zeit. Aber immerhin hat er dieses Mal wenigstens das Ableben seiner Gemahlin abgewartet, ehe er mit der nächsten sein Glück versucht …«
Edmund Howard, Norfolks fürchterlicher Bruder, der so gern Steward von Waringham geworden wäre, holte Raymond schließlich ab, um ihn zurück an den Hof zu bringen, und Nick war wieder allein. Er vermisste seinen Bruder. Ihr Verhältnis war angespannt geblieben, Raymonds Misstrauen und die unausgesprochenen Vorwürfe hatten Nicks Geduld auf manch harte Probe gestellt, und es hatte ihn wütend gemacht, dass sein Bruder nicht ein einziges Mal bereit gewesen war, die Dinge aus seiner Perspektive zu betrachten. Aber Raymonds Anwesenheit hatte die Schatten ferngehalten.
Jetzt kehrten sie zurück. Nick war einsam und fürchtete sich, und mit jedem Tag, der verstrich, ohne dass irgendwer kam, um ihn zu verhören oder vor Gericht zu stellen, nahm seine Furcht zu.
An einem regnerischen Tag Anfang Juni öffnete sich die Tür, und der Constable trat ein. »Mylord.«
Nick stieg vom Bett. »Sir William.« Mehr brachte er nicht heraus. Sein Mund war staubtrocken.
»Ihr habt Besuch«, eröffnete William Kingston ihm unerwartet. » Damen besuch, um genau zu sein. Darum wollte ich Euch Gelegenheit geben, Eure Erscheinung auf Vordermann zu bringen, falls Ihr das wünscht.«
»Gut von Euch.« Nick fuhr sich mit der Hand übers Kinn. Es raspelte. »Aber das würde dauern, fürchte ich.« Immerhin schnürte er Hemd und Wams zu, strich sie glatt, so gut es ging, und schlüpfte in die Schuhe. »Wer ist es denn?«
Statt zu antworten, hielt Kingston die Tür auf und sagte mit einer tiefen Verbeugung: »Tretet ein, Ladys.«
Laura kam mit eiligen Schritten herein und fiel ihrem Bruder um den Hals. »Nick! Gott, wie dürr du bist. Du siehst aus wie Vater …«
Eine Frau in Trauer folgte ihr langsamer, das Haar unter einer schwarzen Giebelhaube verborgen.
Nick befreite sich aus Lauras Umarmung. »Lady Meg!« Er ging ihr mit ausgestreckten Händen entgegen und lächelte. »Das ist eine unerwartete Freude.«
Sir Thomas Mores Tochter nahm seine Hände in die ihren, sah ihm einen Moment in die Augen und erwiderte das Lächeln. Dann ließ sie ihn los und wandte sich an den Constable. »Habt Dank, Sir William.«
Der verstand, dass er entlassen war, nickte und wandte sich zur Tür. »Eine halbe Stunde, Waringham. Keine Minute länger. Ich habe Weisung.«
Nick wartete, bis die Tür sich geschlossen hatte, und führte seine Besucherinnen zum Tisch.
»Wie geht es dir?«, wollte Laura wissen und musterte ihn kritisch. »Ray war zugeknöpft wie üblich. Ich bin nicht so recht schlau geworden aus dem, was er erzählt hat. Behandeln sie dich anständig?«
Nick hob beruhigend die Linke. »Sei unbesorgt. Allmählich fange ich an, mich hier so richtig heimisch zu fühlen …«
»Ich habe dir Wein und etwas Vernünftiges zu essen mitgebracht. Der
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