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Der Dunkle Turm 1 - Schwarz

Titel: Der Dunkle Turm 1 - Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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großer Tisch aus Stein, wo die Revolvermänner und ihre Frauen saßen und den Tänzern zusahen. Einige der Revolvermänner tanzten, aber nur wenige. Das waren die jüngeren. Die anderen saßen nur da, und mir schien, als wären sie im grellen Licht, in dem zivilisierten Licht, von großer Verlegenheit erfüllt. Sie waren die Geachteten, die Gefürchteten, die Wächter, aber in der Menge der Kavaliere mit ihren sanften Damen schienen sie wie Stallknechte zu sein…
    Vier kreisrunde Tische waren mit Speisen beladen, und sie drehten sich ständig. Die Köche kamen und gingen von sieben Uhr abends bis drei Uhr morgens ohne Unterlaß. Die Tische drehten sich wie Uhren, und wir konnten gegrilltes Schweine- und Rindfleisch, Hummer, Hähnchen und Bratäpfel riechen. Es gab Eis und Süßigkeiten. Es gab große flambierte Fleischspieße.
    Und Marten saß neben meiner Mutter und meinem Vater – das konnte ich selbst so hoch droben erkennen –, und sie und Marten tanzten einmal langsam und schwungvoll, und die anderen machten ihnen Platz und applaudierten, als es vorbei war. Die Revolvermänner klatschten nicht, aber mein Vater stand langsam auf und streckte ihr die Arme entgegen. Und sie kam lächelnd zu ihm.
    Es war ein Augenblick des Übergangs, Junge. Eine Zeit, wie sie im Turm selbst herrschen muß, wenn Dinge zusammenkommen und halten und Energie in der Zeit erzeugen. Mein Vater hatte die Macht übernommen, er war auserwählt und anerkannt worden. Marten war der Anerkenner, mein Vater der Lenker. Und seine Frau, meine Mutter, ging zu ihm, das Bindeglied zwischen beiden. Verräterin.
    Mein Vater war der letzte Herr des Lichts.«
    Der Revolvermann betrachtete seine Hände. Der Junge sagte immer noch nichts. Sein Gesicht war lediglich nachdenklich.
    »Ich kann mich erinnern, wie sie tanzten«, sagte der Revolvermann leise. »Meine Mutter und Marten der Zauberer. Ich erinnere mich, wie sie tanzten, wie sie sich langsam einander zu- und voneinander wegdrehten und den alten Schritten des Brautwahlrituals folgten.«
    Er sah den Jungen lächelnd an. »Aber weißt du, es bedeutete nichts. Denn die Macht war auf eine Weise übertragen worden, die keiner von ihnen kannte, aber alle verstanden, und meine Mutter gehörte dem Besitzer und Former dieser Macht mit Haut und Haaren. War es nicht so? Sie ging zu ihm, als der Tanz vorüber war; oder nicht? Sie kam zu ihm, als der Tanz vorbei war, nicht? Und hielt seine Hand? Applaudierten sie? Hallte der Saal nicht vom Beifall wider, als diese Weichlinge und ihre sanften Damen ihm applaudierten und ihn hochleben ließen? War es nicht so? War es nicht so?«
    Bitteres Wasser tröpfelte fern in der Dunkelheit. Der Junge sagte nichts.
    »Ich erinnere mich, wie sie tanzten«, sagte der Revolvermann sanft. »Ich erinnere mich, wie sie tanzten…« Er sah zu der unebenmäßigen Felsdecke empor, und es schien einen Augenblick, als würde er sie anschreien, sie lästern, sie in blinder Wut herausfordern – diese stumpfsinnigen Tonnen gefühllosen Granits, die ihre winzigen Leben in ihren Eingeweiden aus Stein bargen.
    »Welche Hand kann das Messer gehalten haben, das meinem Vater den Tod brachte?«
    »Ich bin müde«, sagte der Junge sehnsüchtig.
    Der Revolvermann verfiel in Schweigen, und der Junge legte sich nieder und schob eine Hand zwischen Wange und Fels. Die winzige Flamme vor ihnen flackerte. Der Revolvermann drehte sich eine Zigarette. Ihm war, als könnte er im zynischen Saal seiner Erinnerung die kristallenen Leuchter immer noch sehen; als könnte er den leeren Schrei der Ehrenbezeugung in einem ausgebluteten Land hören, das schon damals hoffnungslos gegen ein graues Meer der Zeit gestanden hatte. Die Insel des Lichts schmerzte ihn bitterlich, und er wünschte sich, er wäre niemals Zeuge geworden, wie sein Vater zum Hahnrei gemacht worden war.
    Er blies Rauch aus Mund und Nasenlöchern heraus und sah auf den Jungen hinab. Wie wir für uns selbst große Kreise in der Erde ziehen, dachte er. Wie lange, bis wir wieder Tageslicht sehen?
    Er schlief ein.
    Nachdem sein Atem langgezogen und gleichmäßig und regelmäßig geworden war, machte der Junge die Augen auf und betrachtete den Revolvermann mit einem Ausdruck, der Liebe gleichkam. Das letzte Licht des Feuers brach sich einen Augenblick in der Pupille und ertrank dort. Er schlief wieder ein.
    Der Revolvermann hatte einen Großteil seines Zeitgefühls in der unveränderlichen Wüste verloren; den Rest verlor er hier in diesen

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