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Der Dunkle Turm 1 - Schwarz

Titel: Der Dunkle Turm 1 - Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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Und eine größere Lüge. »Ich werde aufpassen.«
    Jakes Gesicht wurde grau, er sagte nichts mehr. Er streckte widerstrebend die Hand aus, und er und der Revolvermann gingen um die Haarnadelkurve herum. Sie standen der letzten steilen Felswand und dem Mann in Schwarz von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er stand nicht mehr als sechs Meter über ihnen, direkt rechts neben dem Wasserfall, der sich aus einem großen, zerklüfteten Loch im Felsen ergoß. Unsichtbarer Wind zerrte und zupfte an seinem Kapuzengewand. Er hielt einen Stab in einer Hand. Die andere Hand streckte er ihnen zu einem spöttischen Willkommensgruß entgegen. Er wirkte wie ein Prophet, und speziell auf dem Felsgesimse unter dem dahinrasenden Himmel wie ein Prophet des Untergangs; seine Stimme war die Stimme von Jeremias.
    »Revolvermann! Wie genau du die alten Prophezeiungen erfüllst! Guten Tag und guten Tag und guten Tag!« Er lachte, und das Lachen hallte über das Donnern des Wasserfalls.
    Der Revolvermann hatte ohne nachzudenken und offenbar ohne ein Klicken motorischer Relais die Pistolen gezogen. Der Junge kauerte rechts hinter ihm, ein winziger Schatten.
    Roland feuerte dreimal, bevor er seine verräterischen Hände unter Kontrolle bringen konnte – die Echos warfen ihre Bronzetöne gegen das Felsental, das sie umgab, und übertönten das Tosen von Wind und Wasser.
    Ein Granitschauer stob über den Kopf des Mannes in Schwarz hinweg; ein zweiter links von seiner Kapuze; ein dritter rechts von ihm. Er hatte dreimal sauber danebengeschossen.
    Der Mann in Schwarz lachte – ein volles, herzliches Lachen, das die verklingenden Echos der Schüsse herauszufordern schien. »Würdest du alle deine Antworten so leichtfertig umbringen, Revolvermann?«
    »Komm herunter«, sagte der Revolvermann. »Ringsumher sind überall Antworten.«
    Wieder dieses laute, höhnische Lachen. »Ich habe keine Angst vor deinen Kugeln, Roland. Deine Vorstellung von Antworten macht mir angst.«
    »Komm herunter.«
    »Auf der anderen Seite, glaube ich«, sagte der Mann in Schwarz. »Auf der anderen Seite werden wir viel zu reden haben.«
    Sein Blick fiel auf Jake, und er fügte hinzu:
    »Nur wir beide.«
    Jake wich mit einem leisen, wimmernden Schrei vor ihm zurück, und der Mann in Schwarz drehte sich herum, sein Gewand flatterte in der grauen Luft wie Fledermausflügel. Er verschwand in der Öffnung im Berg, aus der das Wasser mit ungezügelter Wucht hervorschoß. Der Revolvermann nahm alle Willenskraft zusammen und schoß keine Kugel hinter ihm her – würdest du alle deine Antworten so leichtfertig umbringen, Revolvermann?
    Nur das Geräusch von Wind und Wasser war noch zu hören ein Geräusch, das seit Jahrtausenden an diesem Ort der Einsamkeit erklang. Und doch war der Mann in Schwarz hiergewesen. Nach zwölf Jahren hatte Roland ihn aus der Nähe gesehen, mit ihm gesprochen. Und der Mann in Schwarz hatte ihn ausgelacht.
    Auf der anderen Seite werden wir viel zu reden haben.
    Der Junge sah ihn mit dümmlich unterwürfigen Schafsaugen an; er zitterte am ganzen Körper. Einen Augenblick sah der Revolvermann das Gesicht von Alice, dem Mädchen aus Tull, über dem Gesicht des Jungen, die Narbe leuchtete wie eine stumme Anklage, und er empfand wütende Abscheu vor beiden. (Erst viel später fiel ihm ein, daß die Narbe auf Alices Stirn und der Nagel, den er in seinen Träumen durch Jakes Stirn gebohrt gesehen hatte, beide an derselben Stelle waren). Jake schien eine Ahnung seiner Gedanken zu spüren, und ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Aber es war nur kurz; er versiegelte es hinter seinen zusammengepreßten Lippen. Er hatte das Zeug zu einem prachtvollen Mann, vielleicht sogar zu einem eigenständigen Revolvermann, wenn er genügend Zeit hatte.
    Nur wir beide.
    Der Revolvermann verspürte in einer tiefen, unbekannten Höhle seines Körpers einen großen, unheiligen Durst, einen Durst, den kein Wein löschen konnte. Welten erzitterten fast in Reichweite seiner Finger, und er bemühte sich auf eine instinktive Weise, sich nicht korrumpieren zu lassen, obschon er in seinem kühleren Denken wußte, daß dieses Bemühen vergeblich war und es immer sein würde.
    Es war Mittag. Er sah auf und ließ das wolkenverhangene, rastlose Tageslicht ein letztes Mal auf die nur allzu verletzliche Sonne seiner eigenen Rechtschaffenheit scheinen. Niemand bezahlt jemals mit Silberlingen dafür, dachte er. Der Preis eines jeden Bösen – notwendig oder unnötig – wird stets vom

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