Der Dunkle Turm 2 - Drei
seiner eigenen Verdammnis hinabsah. Eddie zog mit dem Daumen den uralten Hahn des Revolvers zurück. Bei Tagesanbruch und mit der Ebbe hatte der Wind nachgelassen, das Klicken des Hahns, als Eddie spannte, war deutlich zu hören. »Führe mich nicht in Versuchung.«
»Ich glaube doch«, sagte der Revolvermann.
»Ich werde dich erschießen!« schrie Eddie.
»Ka«, antwortete der Revolvermann stoisch und wandte sich zu der Tür. Er griff nach dem Knauf, aber sein Herz wartete: Wartete, ob er leben oder sterben würde.
Ka.
Die Herrin der Schatten
ERSTES KAPITEL
Detta und Odetta
Läßt man die Fachausdrücke weg, hat Adler folgendes gesagt: Der perfekte Schizophrene – wenn es so jemanden überhaupt gibt – wäre ein Mann oder eine Frau, die sich ihrer anderen Persönlichkeit(en) nicht nur nicht bewußt ist, sondern die darüber hinaus überhaupt nicht merken, daß etwas in ihrem Leben nicht stimmt.
Adler hätte Detta Walker und Odetta Holmes kennenlernen sollen.
1
»…letzte Revolvermann«, sagte Andrew.
Er redete schon eine ganze Weile, aber Andrew redete immerzu, und normalerweise ließ Odetta seine Worte einfach über sich hinwegfließen, wie man unter der Dusche warmes Wasser über Haare und Gesicht fließen läßt. Aber das erregte ihre Aufmerksamkeit; es stach, wie mit einem Dorn.
»Bitte?«
»Oh, nur ein Artikel in der Zeitung«, sagte Andrew. »Keinen Schimmer, wer ihn geschrieben hat. Ist mir nicht aufgefallen. Einer dieser politischen Burschen. Sie kennen ihn wahrscheinlich, Miz Holmes. Ich mochte ihn, und ich weinte in der Nacht, als er gewählt wurde…«
Sie lächelte gerührt, sie konnte nicht anders. Andrew sagte, er könne nichts gegen sein unablässiges Schwatzen tun, er wäre nicht dafür verantwortlich, das wäre der Ire in ihm, der herauskommt, und meistens war es auch nichts Wichtiges – Plappern und Schwatzen über Verwandte und Freunde, die sie nie kennenlernen würde, unausgegorene politische Ansichten, befremdliche wissenschaftliche Kommentare aus einer Vielzahl befremdlicher Quellen (unter anderem glaubte Andrew felsenfest an fliegende Untertassen, die er you-foes nannte) – aber das rührte sie, weil sie in der Nacht, als er gewählt worden war, auch geweint hatte.
»Aber ich habe nicht geweint, als ihn dieser Hurensohn – bitte meine Ausdrucksweise zu entschuldigen, Miz Holmes –, als ihn dieser Hurensohn Oswald erschossen hat, und ich habe seither nicht mehr geweint, und dabei ist es jetzt – wie lange her? Zwei Monate?«
Drei Monate und zwei Tage, dachte sie.
»Schätze, das dürfte ungefähr stimmen.«
Andrew nickte. »Dann habe ich diesen Artikel gelesen – könnte in der Daily News gewesen sein, gestern –, daß Johnson seine Aufgabe wahrscheinlich ziemlich gut erfüllen wird, aber es wird nicht dasselbe sein. Der Bursche hat geschrieben, Amerika hätte das Ende des letzten Revolvermanns der Welt miterlebt.«
»Ich glaube nicht, daß John F. Kennedy das war«, sagte Odetta, und wenn ihre Stimme schneidender klang als die, die Andrew zu hören gewohnt war (und das mußte so sein, denn sie sah seine Augen im Rückspiegel erstaunt blinzeln, ein Blinzeln, das mehr einem Zusammenzucken gleichkam), so lag das daran, daß auch das sie rührte.
Es war absurd, aber es war auch eine Tatsache. Dieser Satz – Amerika hat das Ende des letzten Revolvermanns gesehen – hatte etwas, das einen tiefen Akkord in ihrem Verstand anschlug. Es war häßlich, es war unwahr – John Kennedy war ein Friedensbringer gewesen, kein lederbegurteter Billy the Kid-Typ, das lag mehr auf der Goldwater-Linie –, aber aus irgendwelchen Gründen verschaffte es ihr auch Gänsehaut.
»Nun, der Mann hat auch geschrieben, es würde keine Knappheit an Schützen in der Welt herrschen«, fuhr Andrew fort und betrachtete sie nervös im Rückspiegel. »Er nannte zum einen Jack Ruby, und Castro, und diesen Burschen auf Haiti…«
»Duvalier«, sagte sie. »Papa Doc.«
»Ja, der, und Diem…«
»Die Brüder Diem sind tot.«
»Nun, er schrieb, Jack Kennedy wäre anders, das ist alles. Er schrieb, der würde auch ziehen, aber nur wenn ihn ein Schwächerer zum Ziehen zwingt und es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Er schrieb, Kennedy war schlau genug einzusehen, daß Reden manchmal nicht mehr ausreicht. Er schrieb, Kennedy hat gewußt, wenn etwas Schaum vor dem Maul hat, muß man es erschießen.«
Seine Augen sahen sie weiterhin ängstlich an.
»Außerdem war es
Weitere Kostenlose Bücher