Der Dunkle Turm 2 - Drei
schwammig im Kopf oder? Dann lachte sie, und wenn sie sich besonders gut fühlte (was nach ihrem Verschwinden häufig der Fall zu sein schien), kniff sie ihn in die Wange.
»Gut, Miz Holmes«, hatte er gesagt. »Also um zehn.«
Nach dieser Zeit der Angst, als sie drei Wochen fort gewesen war, hatte Andrew den Hörer weggelegt, die Augen zugemacht und der Heiligen Jungfrau ein rasches Dankgebet für Miz Holmes’ wohlbehaltene Rückkehr gesprochen. Dann hatte er Howard angerufen, den Portier in ihrem Haus.
»Wann ist sie heimgekommen?«
»Vor etwa zwanzig Minuten«, sagte Howard.
»Wer hat sie gebracht?«
»Keine Ahnung. Sie wissen ja, wie das ist. Jedesmal ein anderes Auto. Manchmal parken sie um den Block und ich sehe sie überhaupt nicht, weiß nicht einmal, daß sie wieder da ist, bis ich den Summer höre, hinaus schaue und sehe, daß sie es ist.« Nach einer Pause fügte Howard hinzu: »Sie hat einen verdammten Bluterguß auf der Wange.«
Howard hatte recht gehabt, es war wirklich ein verdammter Bluterguß gewesen, und jetzt war er schon besser geworden. Andrew wollte gar nicht daran denken, wie er frisch ausgesehen haben mußte. Miz Holmes war pünktlich um zehn am nächsten Morgen erschienen, sie trug ein seidenes Sonnenhemd mit Spaghettiträgern (es war Ende Juli gewesen), und da hatte der Bluterguß schon angefangen, gelb zu werden. Sie hatte nur einen beiläufigen Versuch unternommen, ihn mit Make-up zu verbergen, als hätte sie gewußt, daß zuviel Make-up die Aufmerksamkeit nur darauf lenken würde.
»Wie sind Sie denn dazugekommen, Miz Holmes?« fragte er.
Sie lachte herzlich. »Du kennst mich doch, Andrew – ungeschickt wie eh und je. Gestern bin ich mit der Hand am Griff abgerutscht, als ich aus der Badewanne wollte – ich wollte mich beeilen, weil ich die nationalen Nachrichten noch sehen wollte. Ich bin gestürzt und habe mir das Gesicht angeschlagen.« Sie studierte sein Gesicht. »Sie haben wieder vor, von Ärzten und Untersuchungen anzufangen, nicht? Sparen Sie sich die Worte; nach all den Jahren kann ich Sie lesen wie ein Buch. Ich werde nicht gehen, also müssen Sie gar nicht erst fragen. Ich fühle mich pudelwohl. Vorwärts, Andrew! Ich habe vor, Saks’ halb und Gimbels ganz leerzukaufen, und dazwischen werde ich im Four Seasons alles essen.«
»Ja, Miz Holmes«, sagte er und lächelte. Es war ein gezwungenes Lächeln, und es war nicht leicht, es herbeizuzwingen. Dieser Bluterguß war keinen Tag alt, er war mindestens eine Woche alt… und er wußte es ja sowieso besser, nicht? Er hatte sie letzte Woche jeden Abend um sieben Uhr angerufen, denn wenn man Miz Holmes in ihrer Wohnung erwischen konnte, dann wenn die Huntley-Brinkley-Meldungen anfingen. Miz Holmes war ein regelrechter Junkie, wenn es um die Nachrichten ging. Er hatte jeden Abend angerufen, ausgenommen den letzten. Da war er hinübergegangen und hatte Howard den Schlüssel abgeschwatzt. Die Überzeugung war in ihm gewachsen, daß sie genau den Unfall gehabt hatte, den sie beschrieben hatte… aber sie hatte sich keinen Bluterguß geholt oder einen Knochen gebrochen, sie war gestorben, allein gestorben und lag derzeit tot in ihrer Wohnung. Er war mit klopfendem Herzen hineingegangen und hatte sich wie eine Katze in einem dunklen Zimmer gefühlt, in dem kreuz und quer Klavierdrähte gespannt waren. Aber er hatte keinen Grund gehabt, nervös zu sein. Auf der Küchentheke stand eine Butterdose, und die Butter war zwar zugedeckt, stand aber schon so lange dort, daß sich ein gehöriger Schimmelbewuchs eingestellt hatte. Er war zehn Minuten vor sieben dagewesen und fünf Minuten nach sieben wieder gegangen. Im Verlauf der raschen Durchsuchung der Wohnung hatte er auch ins Bad gesehen. Die Wanne war trocken gewesen, die Handtücher sauber – fast pingelig – aufgehängt, die zahlreichen Chromgriffe des Raumes waren blankpoliert und wiesen keine Wasserflecken auf.
Er wußte, der Unfall, den sie geschildert hatte, hatte nicht stattgefunden.
Aber Andrew glaubte auch nicht, daß sie gelogen hatte. Sie glaubte, was sie ihm gesagt hatte.
Er sah wieder in den Rückspiegel und sah, wie sie sich mit den Fingerspitzen leicht die Schläfen rieb. Das gefiel ihm nicht. Er hatte sie das schon oft machen sehen, bevor sie verschwunden war.
3
Andrew ließ den Motor an, damit sie im Genuß der Heizung blieb, dann ging er zum Kofferraum. Er betrachtete ihre beiden Koffer und zuckte erneut zusammen. Sie sahen aus, als wären sie
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