Der Dunkle Turm 3 - Tot
seid«, sagte er leise zu Eddie und Jake. »Wir sehen uns einmal um. Ich gebe euch das Okay, wenn die Luft rein ist.« Er trug Susannah in die fleckigen Schatten des Hains, während Eddie und Jake im Sonnenschein blieben und ihnen nachsahen.
Im Schatten war es kühler. Das Summen der Bienen war ein stetes, hypnotisches Dröhnen. »Es sind zu viele«, murmelte Roland. »Es ist Spätsommer; sie müßten unterwegs sein. Ich weiß nicht…«
Er erblickte den Stock, der sich tumorartig aus einem hohlen Baum in der Mitte der Lichtung wölbte, und verstummte.
»Was ist denn mit denen los?« fragte Susannah mit leiser, entsetzter Stimme. »Roland, was ist mit denen los ?«
Eine Biene, die so plump und langsam wie eine Bremse im Oktober war, summte an ihrem Kopf vorbei. Susannah zuckte zurück.
Roland winkte den anderen, sie sollten sich zu ihnen gesellen. Sie kamen und betrachteten den Bienenstock wortlos. Die Kammern waren keine ordentlichen Sechsecke, sondern willkürliche Löcher aller Formen und Größen; der Stock selbst sah seltsam geschmolzen aus, als wäre jemand mit einer Fackel darüber hinweggestrichen. Die Bienen, die darauf herumkrabbelten, waren schneeweiß.
»Kein Honig heute abend«, sagte Roland. »Was wir aus jenem Stock holen könnten, mag süß schmecken, aber es würde uns sicher vergiften.«
Eine der grotesken weißen Bienen summte träge an Jakes Kopf vorbei. Dieser duckte sich mit einem Ausdruck des Ekels.
»Was war das?« fragte Eddie. »Was hat das aus ihnen gemacht, Roland?«
»Dasselbe, was dieses ganze Land entvölkert hat; das immer noch dafür verantwortlich ist, daß viele Büffel als unfruchtbare Mißgeburten zur Welt kommen. Ich habe gehört, wie es der Alte Krieg, das Große Feuer, der Kataklysmus und die Große Verseuchung genannt wurde. Was immer es war, es war der Anfang all unserer Probleme und es ist vor langer Zeit geschehen, tausend Jahre bevor die Ur-Urgroßväter der Menschen in der Stadt am Fluß geboren wurden. Die sichtbaren Auswirkungen – Büffel mit zwei Köpfen und weiße Bienen wie diese –, sind mit der Zeit immer weniger geworden. Das habe ich selbst gesehen. Andere Veränderungen sind größer, wenn auch schwerer zu sehen, und dauern immer noch an.«
Sie beobachteten, wie die weißen Bienen benommen und fast völlig hilflos in ihrem Stock herumkrabbelten. Manche versuchten offensichtlich, ihre Arbeit zu tun; die meisten dagegen wanderten einfach herum, stießen sich die Köpfe an und wuselten übereinander. Eddie mußte an eine Nachrichtensendung denken, die er einmal gesehen hatte. Sie zeigte eine Gruppe Überlebender, die die Stätte einer großen Gasexplosion verließen, welche fast einen gesamten Häuserblock in einer kalifornischen Stadt dem Erdboden gleichgemacht hatte. Die Bienen hier erinnerten ihn an jene benommenen Überlebenden unter Schock.
»Ihr habt einen Atomkrieg gehabt, richtig?« fragte er – fast anklagend. »Diese Großen Alten, von denen du so gern sprichst… sie haben ihre großen alten Ärsche zur Hölle gepustet, Richtig?«
»Ich weiß nicht, was passiert ist. Niemand weiß es. Die Aufzeichnungen aus jener Zeit sind verlorengegangen, und die wenigen Überlieferungen sind wirr und widersprüchlich.«
»Laßt uns gehen«, sagte Jake mit zitternder Stimme. »Es macht mich krank, diese Tiere anzusehen.«
»Ganz meine Meinung, Süßer«, sagte Susannah.
So überließen sie die Bienen ihrem ziellosen, aus den Fugen geratenen Leben im Hain der uralten Bäume und aßen an diesem Abend keinen Honig.
6
»Wann wirst du uns erzählen, was du weißt?« fragte Eddie Roland am nächsten Morgen. Der Tag war klar und blau, aber es lag Kälte in der Luft; der erste Herbst in dieser Welt war fast angebrochen.
Roland sah ihn an. »Was meinst du damit?«
»Ich würde gerne deine ganze Geschichte hören, vom Anfang bis zum Ende, angefangen mit Gilead. Wie du dort aufgewachsen bist und was geschehen ist, daß alles zu Ende ging. Ich möchte wissen, wie du vom Dunklen Turm erfahren hast und warum du überhaupt mit der Suche danach angefangen hast. Und ich möchte alles über deine Freunde wissen, und was aus ihnen geworden ist.«
Roland setzte den Hut ab, wischte sich mit den Armen Schweiß von der Stirn und zog ihn wieder auf. »Ich schätze, du hast ein Recht, das alles zu erfahren, und ich werde es dir erzählen… aber nicht jetzt. Es ist eine sehr lange Geschichte. Ich hätte nie gedacht, daß ich sie überhaupt jemals jemandem
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