Der Dunkle Turm 3 - Tot
erzählen würde, und ich werde sie nur einmal erzählen.«
»Wann?« beharrte Eddie.
»Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist«, sagte Roland, und damit mußten sie sich zufriedengeben.
7
Roland erwachte, einen Augenblick bevor Jake anfing, ihn zu schütteln. Er richtete sich auf und sah sich um, aber Eddie und Susannah schliefen immer noch fest, und er konnte im ersten spärlichen Licht der Dämmerung nichts Außergewöhnliches feststellen.
»Was ist denn?« fragte er Jake mit leiser Stimme.
»Ich weiß nicht. Vielleicht Kämpfe. Komm und hör selbst.«
Roland warf die Decke von sich und folgte Jake zur Straße. Er schätzte, daß sie mittlerweile nur drei Tage Fußmarsch von der Stelle entfernt waren, wo der Send an der Stadt vorbeifloß und die Brücke – die genau auf dem Pfad des Balkens erbaut war – den Horizont beherrschte. Ihre deutliche Neigung war jetzt besser denn je auszumachen, und er konnte mindestens ein Dutzend Lücken erkennen, wo überlastete Kabel gerissen waren wie die Saiten einer Leier.
Heute nacht blies ihnen der Wind genau in die Gesichter, wenn sie zur Stadt sahen, und die Geräusche, die er ihnen zutrug, waren schwach, aber deutlich.
»Sind es Kämpfe?« fragte Jake.
Roland nickte und hielt einen Finger an die Lippen.
Er hörte gedämpfte Rufe, einen Krach, als wäre ein riesiger Gegenstand gefallen, und – natürlich – die Trommeln. Dann folgte ein neuerliches Krachen, diesmal melodischer: das Geräusch von splitterndem Glas.
»Herrje«, flüsterte Jake und rückte näher zu dem Revolvermann.
Dann kam das Geräusch, das Roland von ganzem Herzen nicht hören wollte: das schnelle, trockene Knattern von Gewehrfeuer, gefolgt von einem lauten Knall – eindeutig eine Art Explosion. Der Knall rollte über die Ebene auf sie zu wie eine unsichtbare Bowlingkugel. Danach sanken Rufe, Pochen und die berstenden Geräusche rasch unter die Geräuschebene der Trommeln, und als die Trommeln selbst wenig später wie gewohnt unvermittelt verstummten, herrschte wieder Ruhe in der Stadt. Aber nun war der Stille eine unbehagliche, abwartende Qualität eigen.
Roland legte Jake einen Arm um die Schultern. »Es ist noch nicht zu spät für einen Umweg«, sagte er.
Jake sah zu ihm auf. »Das können wir nicht.«
»Wegen dem Zug?«
Jake nickte und intonierte: »Blaine ist die Pein, doch der Zug muß sein. Und die Stadt ist die einzige Möglichkeit, wo wir zusteigen können.«
Roland betrachtete Jake nachdenklich. »Warum sagst du: muß sein? Ist es Ka? Du mußt nämlich wissen, Jake, du weißt noch nicht sehr viel über Ka – es ist ein Thema, das Menschen ihr ganzes Leben lang studieren.«
»Ich weiß nicht, ob es Ka ist oder nicht, aber ich weiß, wir können nicht ohne Schutz durch das wüste Land, und das bedeutet Blaine. Ohne ihn werden wir sterben, so wie die Bienen, die wir gesehen haben, sterben müssen, wenn der Winter kommt. Wir brauchen Schutz. Denn das wüste Land ist verseucht.«
»Woher weißt du das alles?«
»Das weiß ich nicht!« sagte Jake fast wütend. »Ich weiß es eben.«
»Nun gut«, sagte Roland und lächelte nachsichtig. Er sah wieder Richtung Lud. »Aber wir müssen verdammt vorsichtig sein. Pech, daß sie immer noch Schießpulver haben. Wenn sie das haben, besitzen sie vielleicht Waffen, die noch mächtiger sind. Ich bezweifle, ob sie wissen, wie man sie einsetzt, aber das macht die Gefahr nur noch größer. Sie könnten ausrasten und uns alle in die Hölle pusten.«
»Usten«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Sie drehten sich um und sahen Oy, der am Straßenrand saß und sie beobachtete.
8
Später an diesem Tag kamen sie zu einer neuen Straße, die von Westen verlief und sich mit der ihren vereinte. Nach dieser Stelle sank die Große Straße – die jetzt viel breiter war und in der Mitte durch eine Leitplanke aus dunklem, poliertem Stein geteilt wurde – nach unten, und die verwitterten Betonböschungen, die auf beiden Seiten emporragten, gaben den Reisenden ein klaustrophobisches Gefühl des Eingesperrtseins. Sie machten an einer Stelle Rast, wo einer dieser Betonwälle aufgebrochen worden war, so daß man einen Blick aufs offene Land hatte, und nahmen eine leichte, unbefriedigende Mahlzeit zu sich.
»Was meinst du, warum haben sie die Straße hier tiefer angelegt, Eddie?« frage Jake. »Ich meine, jemand muß es doch absichtlich so gemacht haben, oder nicht?«
Eddie sah durch die Lücke im Beton, wo sich die Steppe flach wie
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