Der Dunkle Turm 4 - Glas
ihr, wo ich meine?« Avery sah Jonas mit einem wissenden Blick an. Der alte Haudegen tat so, als hätte er ihn nicht gesehen, aber Roland glaubte, dass er ihn doch gesehen hatte. Und was hatte er zu bedeuten? Noch ein Geheimnis.
Beim Wort Cöos sah Depape auf, dann machte er sich wieder daran, seinen verletzten Finger zu lutschen. Neben Depape saß Reynolds, der den Mantel um sich geschlungen hatte und grimmig auf seinen Schoß blickte.
»Wirkt es?«, fragte Roland.
»Aye, Junge, aber man bezahlt seinen Preis für Hexenmedizin. Vergiss das nie: Man muss immer bezahlen. Das hier nimmt einem die Kopfschmerzen, wenn man zu viel vom verdammten Punsch des Bürgermeisters trinkt, aber es zwickt nicht schlecht in den Eingeweiden. Und erst die Fürze!« Er winkte mit einer Hand vor seinem Gesicht, um es zu demonstrieren, trank noch einen Schluck aus dem Becher und stellte ihn dann beiseite. Er setzte wieder seine ernste Miene auf, aber die Stimmung im Raum war etwas unbeschwerter geworden; alle spürten es. »Was sollen wir nun in dieser Angelegenheit unternehmen?«
Herk Avery maß sie langsam mit Blicken, von Reynolds rechts außen bis zu Alain – »Richard Stockworth« – ganz links. »Hm, Jungs? Wir haben die Männer des Bürgermeisters auf der einen und die… Männer… des Bundes auf der anderen Seite, sechs Burschen, die um ein Haar gemordet hätten, und weswegen? Wegen einem Schwachsinnigen und einem verschütteten Eimer Kamelpisse.« Er zeigte zuerst auf die Großen Sargjäger, dann auf die Schätzer des Bundes. »Zwei Pulverfässer, und ein dicker Sheriff in der Mitte. Also, was meint ihr dazu? Sprecht, seid nicht schüchtern, unten in Corals Hurenhöhle seid ihr nicht schüchtern gewesen, also seid es auch hier nicht!«
Niemand sagte etwas. Avery kostete noch einmal von seinem widerlichen Gebräu, stellte es wieder ab und sah sie abwartend an. Was er als Nächstes sagte, überraschte Roland nicht sehr; es war genau das, was er von einem Mann wie Avery erwartet hatte, bis hin zu dem Ton, der besagen sollte, dass er ein Mann sei, der schwere Entscheidungen treffen könne, wenn es darauf ankomme, bei den Göttern.
»Ich werde euch sagen, was wir machen werden: Wir werden das Ganze vergessen.«
Nun nahm er die Haltung von jemandem ein, der einen Aufschrei erwartete, aber bereit war, auch damit fertig zu werden. Als keiner etwas sagte oder auch nur mit dem Fuß scharrte, sah er enttäuscht drein. Aber er hatte eine Aufgabe zu erledigen, und die Nacht war nicht mehr jung. Er straffte die Schultern und fuhr energisch fort.
»Ich werde nicht die nächsten drei oder vier Monate abwarten, wer von euch wen getötet hat. Nay! Und ich werde mich auch nicht in eine Lage bringen lassen, wo ich der Leidtragende eures dummen Streits wegen dieses Schwachkopfs Sheemie sein werde.
Ich appelliere an euren Sinn für Vernunft, Jungs, wenn ich darauf hinweise, dass ich während eures Aufenthalts hier entweder euer Freund oder euer Feind sein kann… Aber es wäre falsch, wenn ich nicht gleichzeitig an eure edleren Charakterzüge appellieren würde, die zweifellos beträchtlich und feinfühlig sind.«
Der Sheriff versuchte es nun mit einem exaltierten Ausdruck, den Roland nicht für besonders gelungen hielt. Avery wandte Jonas seine Aufmerksamkeit zu.
»Sai, ich kann nicht glauben, dass Ihr drei jungen Männern des Bundes Ärger machen wollt – des Bundes, der seit fünfzig Generationen wie die Muttermilch und die schützende Hand eines Vaters für uns ist; so unhöflich wollt Ihr doch nicht sein, oder?«
Jonas schüttelte den Kopf und lächelte sein dünnes Lächeln.
Avery nickte wieder. Bis jetzt lief alles gut, besagte dieses Nicken. »Ihr habt alle eure eigenen Kuchen zu backen und eure eigenen Suppen zu kochen, und niemand möchte, dass diese Sache euch daran hindert, euren Aufgaben nachzugehen, oder?«
Diesmal schüttelten alle den Kopf.
»Ich möchte also, dass ihr aufsteht, euch ins Gesicht seht, euch die Hand schüttelt und einander Verzeihung erfleht. Wenn ihr das nicht tut, könnt ihr, soweit es mich betrifft, bei Sonnenaufgang alle nach Westen aus der Stadt reiten.«
Er griff nach dem Becher und nahm diesmal einen größeren Schluck. Roland sah, dass die Hand des Mannes leicht zitterte, was ihn aber nicht überraschte. Natürlich war alles nur Schall und Rauch. Dem Sheriff musste schon klar gewesen sein, dass Jonas, Reynolds und Depape außerhalb seiner Autorität standen, sobald er die kleinen blauen Särge
Weitere Kostenlose Bücher