Der Dunkle Turm 4 - Glas
nicht recht erinnern…«
»Schon gut, ich weiß Bescheid. Und du hast dir dein Metall verdient.«
»Wirklich?« Der alte Mistkerl war wieder näher gekommen, und sein Grasatem war erstickend süßlich. »Gold oder Silber? Was ist es, mein Freund?«
»Blei«, hatte Depape geantwortet, blank gezogen und dem alten Mann zweimal in die Brust geschossen. Womit er ihm wirklich einen Gefallen tat.
Nun ritt er in Richtung Mejis zurück – die Rückreise würde schneller gehen, weil er nicht mehr in jedem kleinen Scheißkaff Halt machen und Fragen stellen musste.
Dicht über seinem Kopf ertönte ein Flügelschlagen. Eine Taube – dunkelgrau war sie, mit einem weißen Ring um den Hals – flatterte dicht vor ihm auf einen Felsen, als wollte sie dort Rast machen. Ein interessanter Vogel. Jedenfalls keine wilde Taube, wie Depape fand. Ein entflogenes Haustier? Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich jemand in dieser götterverlassenen Ecke der Welt etwas anderes halten würde als einen halbwilden Hund, um mögliche Einbrecher abzuschrecken (was allerdings die Leute hier besitzen mochten, um Einbrecher anlocken zu können, war wiederum eine andere Frage, die er nicht beantworten konnte), aber er dachte, dass ja alles möglich sei. Auf jeden Fall wäre eine gebratene Taube eine Köstlichkeit, wenn er heute Abend Rast machte.
Depape zog die Waffe, aber bevor er den Hahn spannen konnte, hatte sich die Taube wieder in die Luft geschwungen und flog nach Osten. Depape jagte ihr trotzdem einen Schuss hinterher. Manchmal hatte man Glück, aber diesmal offenbar nicht; die Taube trudelte ein wenig, dann fing sie sich wieder und verschwand in der Richtung, die auch Depape eingeschlagen hatte. Er blieb kurz auf seinem Pferd sitzen und war nicht sonderlich beunruhigt; er dachte, Jonas würde äußerst zufrieden mit dem sein, was er herausgefunden hatte.
Nach einer Weile gab er seinem Pferd die Sporen und ritt auf der Küstenstraße nach Osten in Richtung Mejis zurück, wo die Jungs, die ihn lächerlich gemacht hatten, darauf warteten, dass er mit ihnen abrechnete. Möglicherweise waren sie Lords, möglicherweise waren sie Söhne von Revolvermännern, aber in diesen Letzten Tagen konnten selbst sie sterben. Wie der alte Mistkerl zweifellos festgestellt haben würde, die Welt hatte sich weiterbewegt.
2
An einem Spätnachmittag, drei Tage nachdem Roy Depape die Stadt Ritzy verlassen und mit seinem Pferd den Rückweg nach Hambry angetreten hatte, ritten Roland, Cuthbert und Alain in nordwestlicher Richtung von der Stadt weg, zuerst den langen Hang der Schräge hinunter, dann in das freie Land, das die Leute von Hambry als Böses Gras bezeichneten, dann in das trockene wüste Land. Hinter ihnen, im offenen Gelände deutlich zu erkennen, lagen verfallene und erodierte Felsen. In deren Mitte befand sich eine dunkle Spalte, die halbwegs an eine Vagina gemahnte. Die Ränder der Spalte waren so zerklüftet, dass man meinen konnte, ein erboster Gott hätte sie mit einem Beil in die Wirklichkeit hineingeschlagen.
Die Entfernung zwischen dem Ende der Schräge und den Felsen betrug rund sechs Meilen. Nach drei Vierteln des Weges kamen sie an der einzigen geografischen Markierung des Flachlands vorbei: einer emporragenden Felsnadel, die wie ein am ersten Gelenk angewinkelter Finger aussah. Darunter befand sich ein kleiner, bumerangförmiger Grünstreifen, und als Cuthbert einen hallenden Schrei ausstieß, um zu hören, wie seine Stimme von den Felsen vor ihnen zurückgeworfen wurde, stürmte ein Rudel schwatzender Billy-Bumbler aus dem Grünstreifen und rannte zurück nach Südosten zur Schräge.
»Das ist der Hanging Rock«, sagte Roland. »An seinem Fuß liegt eine Quelle – die einzige in dieser Gegend, wie's heißt.«
Mehr wurde bei diesem Ausritt nicht gesprochen, aber hinter Rolands Rücken wechselten Cuthbert und Alain einen unverwechselbaren Blick der Erleichterung. In den vergangenen drei Wochen hatten sie mehr oder weniger auf der Stelle getreten, während sich der Sommer rings um sie herum entfaltet hatte. Es war gut und schön für Roland, ihnen zu sagen, dass sie warten mussten, dass sie den unwichtigen Dingen größte Aufmerksamkeit widmen und die wichtigen nur aus den Augenwinkeln wahrnehmen durften, aber keiner von ihnen beiden traute der verträumten, entrückten Aura, die Roland neuerdings wie seine eigene spezielle Version von Clay Reynolds’ Mantel einhüllte. Sie unterhielten sich untereinander nicht
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