Der Dunkle Turm 4 - Glas
Feuerstein und Stahl aufeinander schlug, ging ihm nicht aus dem Sinn; er gestattete seinem Verstand, ein, zwei Sekunden dabei zu verweilen wie eine Biene, die sich an einer süßen Blume labt, und dann wandte er sich wieder anderen Dingen zu. Nicht diese Erinnerung nämlich wollte er haben; sie war nur der Weg zu dem, was er wirklich wollte, eine Tür wie diejenigen am Ufer des Westlichen Meeres oder diejenige, die er in den Sand des sprechenden Rings gekritzelt hatte, bevor sie Take gezogen hatten… nur war die jetzige Tür in seinem Verstand. Was er wollte, befand sich dahinter; im Augenblick machte er nichts anderes, als… nun… am Schloss herumzuspielen.
Ausgeklinkt, in der Henrysprache.
Sein Bruder hatte seine Zeit überwiegend damit verbracht, Eddie fertig zu machen – weil Henry Angst vor ihm hatte und eifersüchtig auf ihn war, wie Eddie schließlich klar wurde –, aber er erinnerte sich an einen Tag, als Henry ihn aus der Fassung brachte, indem er etwas Nettes sagte. Sogar besser als nett; unfassbar.
Ein paar von ihnen hatten in der Gasse hinter Dahlie’s gesessen, manche aßen Eis – Popsicles und Hoodsie Rockets –, manche rauchten Kents aus einer Packung, die Jimmie Polino – Jimmie Polio hatten sie ihn alle genannt, weil er dieses versaute Mistding hatte, diesen Klumpfuß – aus der Kommodenschublade seiner Mutter stibitzt hatte. Logischerweise hatte Henry zu denen gehört, die rauchten.
Es gab gewisse Möglichkeiten, in der Bande, zu der Henry gehörte (und zu der Eddie, als sein kleiner Bruder, ebenfalls gehörte), auf bestimmte Dinge anzuspielen; das Rotwelsch ihres erbärmlichen kleinen Ka-Tet. In Henrys Bande verprügelte man nie jemanden; man schickte ihn mit einem verdammten Milzriss nach Hause. Man trieb es nie mit einem Mädchen; man fickte die Schlampe, bis sie um Gnade winselte. Man wurde nie high; man knallte sich eine echte Bombe rein. Und man machte nie Krawall mit einer anderen Bande; man ließ die Sau raus.
Die Diskussion an jenem Tag hatte sich darum gedreht, wen man bei sich haben wollte, wenn man die Sau rausließ. Jimmie Polio (er durfte als Erster sprechen, weil er die Zigaretten besorgt hatte, die Henrys Kumpane die beschissenen Krebsstängel nannten) entschied sich für Skipper Brannigan, weil, wie er sagte, Skipper vor keinem Angst hatte. Einmal, sagte Jimmie, sei Skipper sauer auf seinen Lehrer gewesen – das war bei der Tanzveranstaltung am Freitagabend – und habe ihn windelweich geprügelt. Schickte den verdammten Anstandswauwau mit einem verdammten Milzriss nach Hause – kann man sich so was vorstellen?! Das sei eben sein alter Kumpel Skipper Brannigan.
Alle hörten sich das feierlich an und nickten, während sie ihre Rockets aßen, ihr Wassereis lutschten oder ihre Kents rauchten. Alle wussten, dass Skipper Brannigan eine elende Memme war und Jimmie nur Scheiße erzählte, aber keiner sagte es. Herrgott, nein. Wenn sie nicht so taten, als glaubten sie Jimmie Polios unerhörte Lügengeschichten, würde kein anderer so tun, als glaubte er den ihren.
Tommy Fredericks entschied sich für John Parelli. Georgie Pratt gab Csaba Drabnik den Vorzug, der in der Gegend auch den Beinamen Der Total Verrückte Ungar trug. Frank Duganelli nominierte Larry McCain, obwohl Larry McCain im Jugendknast saß; Larry sei der große Macker, sagte Frank.
Aber dann war Henry Dean an der Reihe. Er ließ der Frage die ernste Beachtung zuteil werden, die ihr gebührte, und legte schließlich seinem völlig überraschten Bruder einen Arm um die Schultern. Eddie, sagte er. Mein kleines Bruderherz. Er ist der Mann.
Alle starrten ihn fassungslos an – am fassungslosesten jedoch Eddie selbst. Die Kinnlade hing ihm fast bis zur Gürtelschnalle hinunter. Und dann sagte Jimmie Polio: Komm schon, Henry, hör auf mit dem Scheiß. Das hier ist eine ernste Frage. Wen würdest du als Rückendeckung haben wollen, wenn die Kacke am Dampfen ist?
Es ist mein Ernst, hatte Henry geantwortet.
Warum ausgerechnet Eddie?, hatte Georgie Pratt gefragt und damit die Frage ausgesprochen, die auch Eddie durch den Kopf ging. Der könnte sich nicht aus einer Papiertüte befreien. Einer nassen Papiertüte. Also warum, verdammt?
Henry schien noch eine Weile nachzudenken – aber nicht, davon war Eddie überzeugt, weil er den Grund nicht wusste, sondern weil er sich überlegen musste, wie er diesen in Worte kleiden wollte. Dann sagte er: Weil Eddie, wenn er sich in seine verdammte Zone geklinkt hat, den Teufel
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