Der Dunkle Turm 4 - Glas
NICHT ZU SCHREIBEN. DAS SAGE ICH EUCH IM GEISTE DES FAIRPLAY, MEINE INTERESSANTEN NEUEN FREUNDE. WENN IHR EUCH EURE BESTEN RÄTSEL BIS ZUM SCHLUSS AUFGEHOBEN HABT, WÄRT IHR GUT BERATEN, WENN IHR SIE MIR JETZT STELLEN WÜRDET.«
Angesichts der unüberhörbaren Gier in Blaines Stimme – seinem unverhohlenen Verlangen, ihre besten Rätsel zu hören und zu lösen – fühlte sich Susannah müde und alt.
»Ich habe vielleicht gar keine Zeit mehr, dir meine allerbesten zu stellen«, sagte Roland in einem beiläufigen, nachdenklichen Ton. »Das wäre doch jammerschade, oder nicht?«
Es folgte eine Pause – kurz, aber es war ein deutlicheres Zögern, als der Computer bei Rolands Rätseln hatte erkennen lassen –, und dann kicherte Blaine. Susannah verabscheute schon den Klang seines irren Gelächters, aber dieses Kichern hatte eine zynische Resignation an sich, die sie noch mehr erschütterte. Vielleicht weil es halbwegs normal klang.
»GUT, REVOLVERMANN. GUTER VERSUCH. ABER DU BIST NICHT SCHEHERAZADE, UND WIR HABEN AUCH NICHT TAUSENDUNDEINE NÄCHTE, UM PALAVER ABZUHALTEN.«
»Ich verstehe dich nicht. Ich kenne diese Scheherazade nicht.«
»EINERLEI. SUSANNAH KANN ES DIR ERKLÄREN, WENN DU ES WIRKLICH WISSEN MÖCHTEST. VIELLEICHT SOGAR EDDIE. ES KOMMT NUR DARAUF AN, ROLAND, DASS ICH MICH DURCH DIE AUSSICHT AUF WEITERE RÄTSEL NICHT VON MEINEM VORHABEN ABBRINGEN LASSEN WERDE. JETZT GEHT ES UM DIE GANS. IN TOPEKA GIBT ES DEN PREIS, SO ODER SO. HAST DU DAS VERSTANDEN?«
Wieder strich Roland sich mit der verstümmelten Hand über die Wange; wieder hörte Susannah das leise Kratzen seiner drahtigen Bartstoppeln unter den Fingern.
»Wir spielen bis zum Ende. Niemand gibt auf.«
»KORREKT. NIEMAND GIBT AUF.«
»In Ordnung, Blaine, wir spielen bis zum Ende, und niemand gibt auf. Hier kommt das Nächste.«
»ICH WARTE WIE IMMER MIT VERGNÜGEN DARAUF.«
Roland sah Jake an. »Mach dich mit deinen bereit, Jake, ich bin mit meinen fast am Ende.«
Jake nickte.
Unter ihnen drehten die Slo-Trans-Motoren des Mono weiter auf – mit einem Poch-poch-poch, das Susannah weniger hörte, als vielmehr in den Kiefergelenken, den Schläfen und den Pulsadern ihrer Handgelenke spürte.
Nichts wird uns retten, wenn nicht noch ein Knüller in Jakes Buch steckt, dachte sie. Roland kann Blaine nicht bezwingen, und ich glaube, das weiß er auch. Ich glaube, er wusste es schon vor einer Stunde.
»Blaine, ich geschehe einmal pro Minute, zweimal jeden Augenblick, aber nicht einmal in hunderttausend Jahren. Was bin ich?«
Und so würde der Wettstreit weitergehen, begriff Susannah. Roland würde fragen, und Blaine würde weiter ohne ein Zögern antworten, was zunehmend schrecklicher wirkte, wie ein allsehender, allwissender Gott. Susannah hatte ihre kalten Hände im Schoß verschränkt und beobachtete, wie sich das leuchtende Pünktchen Topeka näherte, dem Ort, wo jeder Streckendienst aufhörte, dem Ort, wo der Pfad ihres Ka-Tet auf der Lichtung enden würde. Sie dachte an die Hunde des Wasserfalls, wie sie aus den donnernden weißen Wassermassen unter dem dunklen Sternenhimmel herausgeragt hatten; sie dachte an deren Augen.
An deren elektrisierende blaue Augen.
Kapitel 3
D IE J AHRMARKTSGANS
1
Eddie Dean – der nicht wusste, dass Roland ihn manchmal als Ka-Mai betrachtete, als Narren des Ka – hörte alles und nichts; sah alles und nichts. Das Einzige, was wirklich Eindruck auf ihn machte, nachdem der Rätselwettstreit richtig begonnen hatte, war das Feuer, das aus den Steinaugen der Hunde schoss; als er die Hand hob, um die Augen vor dem grellen Kettenblitzleuchten abzuschirmen, musste er an das Portal des Balkens auf der Lichtung des Bären denken, wie er das Ohr dagegengedrückt und das ferne, traumartige Summen von Maschinen gehört hatte.
Als Eddie sah, wie die Augen der Hunde aufleuchteten, als er hörte, wie Blaine die Energie in seine Batterien leitete und sich für seine letzte rasende Fahrt durch Mittwelt auflud, hatte er gedacht: Nicht alles ist stumm in den Hallen der Toten und den Räumen des Ruins. Auch jetzt funktioniert noch einiges von dem Zeug, das die Alten zurückgelassen haben. Und das ist das Schreckliche daran, ist es nicht genau so? Ja. Genau das ist das Schreckliche.
Danach war Eddie kurze Zeit bei seinen Freunden gewesen, geistig wie körperlich, aber dann versank er wieder in sein Nachdenken. Eddie hat sich ausgeklinkt, hätte Henry gesagt. Lasst ihn in Ruhe.
Das Bild von Jake, wie er
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