Der Dunkle Turm 4 - Glas
ein angenehmes, harmonisches Geräusch, bei dem er erschauert und an Susan denkt: Vogel und Bär und Fisch und Hase.
Plötzlich überholt ihn Sheemies Esel (Caprichoso, denkt Roland, ein wunderschöner Name), der mit Augen, so leuchtend wie Feuerjuwelen im lumbre fuego des Sturms, durch die Luft galoppiert. Hinter ihm kommt Rhea vom Cöos, die eine sombrera trägt und auf einem mit wehenden Ernteamuletten geschmückten Besen reitet. »Ich krieg dich, mein Süßer!«, schreit sie hinter dem fliehenden Esel her, und dann verschwindet sie gackernd mit ihrem sausenden Besen.
Roland stößt in die Schwärze hinab und kann plötzlich nicht mehr atmen. Die Welt um ihn herum besteht aus undurchdringlicher Finsternis; die Luft scheint auf seiner Haut zu kribbeln wie eine Schicht Insekten. Er wird herumgewirbelt, von unsichtbaren Fäusten hin und her geboxt, und dann so heftig abwärts gestoßen, dass er befürchtet, am Boden zerschmettert zu werden: So fiel Lord Perth.
Abgestorbene Felder und verlassene Dörfer steigen aus der Dunkelheit empor; er sieht verbrannte Bäume, die keinen Schatten spenden – oh, aber hier ist alles Schatten, alles ist Tod, dies ist der Rand von Endwelt, wohin er eines dunklen Tages kommen wird, und alles ist Tod hier.
»Revolvermann, das ist Donnerschlag.«
» Donnerschlag«, sagt er.
»Hier sind die Nichtatmenden; die weißen Gesichter.«
»Die Nichtatmenden. Die weißen Gesichter.«
Ja. Irgendwie weiß er das. Dies ist die Stätte abgeschlachteter Soldaten, des gespaltenen Helms, der rostigen Hellebarde; von hier kommen die bleichen Krieger. Dies ist Donnerschlag, wo die Uhren rückwärts laufen und die Friedhöfe ihre Toten erbrechen.
Vor ihm befindet sich ein Baum, der einer verkrümmten, zupackenden Hand gleicht; auf seinem höchsten Ast ist ein Billy-Bumbler gepfählt worden. Er müsste tot sein, aber als der rosa Sturm Roland vorüberträgt, hebt das Tier den Kopf und sieht ihn voll unsagbarer Schmerzen und Erschöpfung an. »Oy!«, ruft es, und dann ist auch das Tier verschwunden und wird für viele Jahre vergessen bleiben.
»Schau nach vorn, Roland – sieh dein Schicksal!«
Nun weiß er plötzlich, was das für eine Stimme ist – es ist die Stimme der Schildkröte.
Er schaut auf und sieht, wie ein gleißendes, blau-goldenes Leuchten die schmutzige Dunkelheit von Donnerschlag durchbohrt. Bevor er es noch richtig wahrnehmen kann, durchbricht er die Dunkelheit und gelangt ins Licht wie etwas, was aus einem Ei schlüpft, ein Geschöpf das endlich geboren wird.
»Licht! Es werde Licht!«
ruft die Stimme der Schildkröte, und Roland muss die Hände vor die Augen schlagen und zwischen den Fingern hindurchblinzeln, damit er nicht geblendet wird. Unter ihm liegt ein Feld des Blutes – denkt er jedenfalls damals, ein vierzehnjähriger Junge, der an diesem Tag zum ersten Mal richtig getötet hat. Das ist das Blut, das aus Donnerschlag geflossen ist und unsere Seite der Welt zu ertränken droht, denkt er, und es werden ungezählte Jahre vergehen, bis er schließlich seine Zeit in der Kugel wiederentdecken und seine Erinnerung mit Eddies Traum verbinden und seinen compadres auf der Standspur des Highways am Ende der Nacht sagen wird, dass er sich geirrt hat, dass er sich von dem Gleißen hat täuschen lassen, weil es so dicht auf den Schatten von Donnerschlag folgte. »Es war kein Blut, es waren Rosen«, sagt er zu Eddie, Susannah und Jake.
»Revolvermann, schau – schau dort.«
Ja, da ist er, eine staubige, grau-schwarze Säule, die am Horizont aufragt: der Dunkle Turm, der Punkt, an dem sich alle Balken, alle Kraftlinien, vereinigen. In den spiralförmig angeordneten Fenstern sieht er pulsierendes elektrisches blaues Feuer und hört die Schreie aller, die darin eingeschlossen sind; er spürt sowohl die Macht dieses Ortes und seine Falschheit; er kann spüren, wie der Turm das Falsche über alles ergießt, wie er die Grenzen zwischen den Welten aufweicht, wie sein Potenzial für Unheil immer größer wird, während zugleich Krankheit seine Wahrheit und Kohärenz schwächt wie bei einem Körper, den der Krebs befallen hat; dieser lotrechte Arm aus dunkelgrauem Stein ist das größte Geheimnis und das letzte schreckliche Rätsel der Welt.
Es ist der Turm, der Dunkle Turm, der in den Himmel ragt, und während Roland in dem rosa Sturm darauf zufliegt, denkt er: Ich werde dich betreten, ich und meine Freunde, wenn das Ka es so will; wir werden dich betreten und die Falschheit in dir
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