Der Dunkle Turm 4 - Glas
bezwingen. Es mögen noch Jahre vergehen, aber ich schwöre bei Vogel und Bär und Fisch und Hase, bei allem, was ich liebe, dass…
Aber nun füllt sich der Himmel mit Wolkenbannern, die aus Donnerschlag hervorströmen, und die Welt wird dunkel; das blaue Licht in den aufsteigenden Fenstern des Turms leuchtet wie irre Augen, und Roland hört tausende kreischender, wimmernder Stimmen.
»Du wirst alles und jeden töten, den du liebst«
sagt die Stimme der Schildkröte, und jetzt ist es eine grausame Stimme, grausam und hart,
»und dennoch wird der Turm für dich verschlossen bleiben.«
Der Revolvermann atmet ein und zieht seine gesamte Kraft zusammen; als er der Schildkröte seine Antwort entgegenschreit, schreit er es für alle Generationen seines Geschlechts: »NEIN! ER WIRD NICHT STANDHALTEN! WENN ICH LEIBHAFTIG HIERHER KOMME, WIRD ER NICHT STANDHALTEN! ICH SCHWÖRE BEIM NAMEN MEINES VATERS, ER WIRD NICHT STANDHALTEN!«
»Dann stirb«
sagt die Stimme, und Roland wird auf die grau-schwarze Steinmauer des Turms zugewirbelt, um daran zerquetscht zu werden wie ein Insekt an einem Felsen. Aber bevor es dazu kommen kann…
6
Cuthbert und Alain betrachteten Roland mit wachsender Sorge. Er hielt sich das Stück von Maerlyns Regenbogen vors Gesicht, umfing es mit den Händen, wie ein Mann einen Pokal umfangen mochte, bevor er einen zeremoniellen Trinkspruch ausbrachte. Der Beutel lag zusammengeknüllt auf den staubigen Spitzen seiner Stiefel; seine Wangen und die Stirn wurden von einem rosa Leuchten erhellt, das keinem der Jungen gefiel. Irgendwie schien es am Leben zu sein, und hungrig.
Sie dachten wie mit einem Verstand: Ich kann seine Augen nicht sehen. Wo sind seine Augen?
»Roland?«, sagte Cuthbert noch einmal. »Wenn wir den Hanging Rock erreichen wollen, bevor sie auf uns vorbereitet sind, musst du dieses Ding weglegen.«
Roland traf keine Anstalten, die Kugel zu senken. Er murmelte etwas; später, als Cuthbert und Alain die Möglichkeit hatten, ihre Beobachtungen zu vergleichen, stimmten sie beide darin überein, dass es Donnerschlag gewesen war.
»Roland?«, sagte Alain und kam näher. So vorsichtig wie ein Chirurg, der ein Skalpell in den Körper eines Patienten führen wollte, schob er die rechte Hand zwischen die Rundung der Kugel und Rolands entschlossenes, gebanntes Gesicht. Keine Regung. Alain zog die Hand zurück und drehte sich zu Cuthbert um.
»Kannst du Fühlung mit ihm aufnehmen?«, fragte Cuthbert.
Alain schüttelte den Kopf. »Überhaupt nicht. Es ist, als wäre er ganz weit fort.«
»Wir müssen ihn aufwecken.« Cuthberts Stimme klang staubtrocken und halbwegs zittrig.
»Vannay hat uns gesagt, wenn man jemanden zu schnell aus einer tiefen hypnotischen Trance weckt, kann er den Verstand verlieren«, sagte Alain. »Schon vergessen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich es wagen…«
Roland bewegte sich. Die rosa Höhlen, wo seine Augen gewesen waren, schienen zu wachsen. Er kniff den Mund zu der bitteren Linie der Entschlossenheit zusammen, die sie beide nur zu gut kannten.
»Nein! Er wird nicht standhalten!«, schrie er mit einer Stimme, bei der die beiden anderen Jungen eine Gänsehaut bekamen; das war ganz und gar nicht Rolands Stimme, jedenfalls nicht so, wie er jetzt war; das war die Stimme eines Mannes.
»Nein«, sagte Alain viel später, als Roland schlief und er und Cuthbert vor dem Lagerfeuer saßen. »Das war die Stimme eines Königs.«
Jetzt allerdings sahen die beiden ihren abwesenden, brüllenden Freund nur starr vor Angst an.
»Wenn ich leibhaftig hierher komme, wird er nicht bestehen! Ich schwöre beim Namen meines Vaters, ER WIRD NICHT STANDHALTEN!«
Als Roland sein unnatürliches rosa Gesicht wie ein Mann verzerrte, der sich einem unaussprechlichen Grauen gegenübersah, sprangen Cuthbert und Alain zu ihm. Es war nicht mehr die Frage, ob sie ihn vielleicht vernichteten, wenn sie versuchten, ihm zu helfen; wenn sie nichts unternahmen, würde die Glaskugel ihn vor ihren Augen töten.
Auf dem Hof der Bar K Ranch war es Cuthbert gewesen, der Roland niedergeschlagen hatte; diesmal fiel Alain diese Ehre zu, und er versetzte dem Revolvermann eine harte Rechte mitten auf die Stirn. Roland stolperte rückwärts, die Kugel fiel aus seinen erschlaffenden Händen, das schreckliche rosa Licht verschwand aus seinem Gesicht. Cuthbert fing den Jungen und Alain die Kugel. Ihr leuchtender rosa Schimmer war auf eine unheimliche Weise beharrlich, schlug gegen seine Augen und
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