Der Dunkle Turm 4 - Glas
als Ka-Tet zusammenbleiben konnten oder nicht. Wenn sie das tun wollten, durfte nichts verborgen bleiben; er musste ihnen erzählen, wie er in jenem längst vergangenen Jahr zum letzten Mal in das Glas des Zauberers gesehen hatte. Drei Nächte nach dem Willkommensbankett war das gewesen. Er musste es ihnen erzählen…
Nein, Roland, flüsterte die Stimme. Nicht nur erzählen. Diesmal nicht. Du weißt es besser.
Ja. Er wusste es besser.
»Kommt«, sagte er und drehte sich zu seinen Gefährten um.
Sie fanden sich langsam um ihn herum ein, und das pulsierende rosa Licht der Kugel überstrahlte ihre großen Augen. Sie waren schon halb hypnotisiert davon, selbst Oy.
»Wir sind ka-tet«, sagte Roland und hielt ihnen die Kugel hin. »Wir sind eins aus vielen. Ich habe meine einzige wahre Liebe am Anfang meiner Suche nach dem Dunklen Turm verloren. Und nun schaut in dieses abscheuliche Ding, wenn ihr wollt, und seht, was ich nicht lange danach verloren habe. Seht es ein für alle Mal; seht es sehr wohl.«
Sie schauten hinein. Die Kugel in Rolands erhobenen Händen pulsierte schneller. Sog sie in sich hinein und trug sie fort. Im Griff des rosa Sturms gefangen, flogen sie über den Regenbogen des Zauberers in das Gilead von einst.
Kapitel 4
D IE G LASKUGEL
Jake aus New York steht im oberen Flur des Großen Saals von Gilead – hier im grünen Land mehr ein Schloss als das Haus eines Bürgermeisters. Er schaut sich um und sieht Susannah und Eddie mit großen Augen und fest ineinander verschränkten Händen vor einem Wandteppich stehen. Und Susannah steht; sie hat ihre Beine wieder, zumindest vorübergehend, und ihre »Käppchen«, wie sie sich ausgedrückt hat, sind durch ein Paar rote Schuhe ersetzt worden, wie Dorothy sie getragen hatte, als sie auf ihrer Version der Großen Straße aufgebrochen war, um den Zauberer von Oz zu suchen, diesen Bumhug.
Sie hat ihre Beine wieder, weil das ein Traum ist, denkt Jake, weiß aber, es ist kein Traum. Er schaut nach unten und sieht Oy, der mit seinen ängstlichen, intelligenten, goldgeränderten Augen zu ihm aufblickt. Er trägt noch seine roten Schühchen. Jake bückt sich und streichelt Oy den Kopf. Er spürt deutlich das Fell des Bumblers unter seiner Hand. Nein, das ist kein Traum.
Aber Roland ist nicht hier, stellt er fest; sie sind zu viert statt zu fünft. Und er stellt noch etwas fest: Die Luft in diesem Flur ist schwach rosa, und winzige rosa Heiligenscheine kreisen um die komischen altmodischen Glühbirnen, die den Flur ausleuchten. Etwas wird passieren; eine Geschichte wird sich vor ihren Augen abspielen. Und nun hört der Junge Schritte, die näher kommen, als hätte dieser Gedanke sie herbeigerufen.
Es ist eine Geschichte, denkt Jake. Eine, die ich schon mal erzählt bekommen habe.
Als Roland um die Ecke kommt, wird ihm klar, was für eine Geschichte es ist: die Geschichte, wie Marten Broadcloak den jungen Roland auf dem Weg zum Dach aufhält, wo es vielleicht kühler sein wird. »Du, Junge«, wird Marten sagen. »Komm rein! Steh nicht auf dem Flur herum! Deine Mutter will mit dir sprechen!« Aber das ist natürlich nicht die Wahrheit, war nie die Wahrheit und wird nie die Wahrheit sein, wie sehr sich die Zeit auch zusammenziehen und dehnen mag. Marten will, dass der Junge seine Mutter sieht und begreift, dass Gabrielle Deschain zur Geliebten des Zauberers seines Vaters geworden ist. Marten möchte den Jungen zu einer vorzeitigen Mannbarkeitsprüfung verlocken, während dessen Vater nicht da ist, um es zu verhindern; er möchte den Welpen aus dem Weg haben, bevor seine Zähne lang genug geworden sind, dass er zubeißen kann.
Nun werden sie das alles sehen; die traurige Komödie wird vor ihren Augen ihren traurigen und vorherbestimmten Verlauf nehmen. Ich bin zu jung, denkt Jake, aber natürlich ist er nicht zu jung; Roland wird nur drei Jahre älter sein, wenn er mit seinen Freunden nach Mejis kommt und Susan auf der Großen Straße kennen lernt. Nur drei Jahre älter, wenn er sich in sie verliebt, nur drei Jahre älter, wenn er sie verliert.
Mir egal, ich will es nicht sehen…
Und er wird es auch nicht, wird ihm klar, als Roland näher kommt; das alles ist bereits geschehen. Dies ist nämlich nicht August, die Zeit der Vollen Erde, sondern Spätherbst oder früher Winter. Er sieht es an dem serape, den Roland trägt, ein Souvenir seiner Reise zum Äußeren Bogen, und an dem Dampf, der jedes Mal, wenn Roland ausatmet, aus dessen Mund und Nase
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