Der Dunkle Turm 4 - Glas

Schweigen, Jake, hast du verstanden!«, sagte Eddie verdrossen. Plötzlich merkte er, dass er verwesende Tiere riechen konnte. Der Geruch war schwach, in den heißen Tagen des gerade zu Ende gegangenen Sommers fast verweht, aber der Rest reichte allemal aus, dass er sich fast übergeben musste. Nicht, dass er sich genau daran erinnern konnte, wann er zum letzten Mal etwas gegessen hatte.
    »Oy! Zu mir!«
    Oy heulte ein letztes Mal, dann ging er zu Jake zurück. Er stand zu Füßen des Jungen und sah mit seinen unheimlichen Eheringaugen zu ihm auf. Jake hob ihn hoch, trug ihn in einem Halbkreis um den Wolf herum und setzte ihn wieder auf dem Plattenweg ab.
    Der Weg führte zu einer steilen Treppe (wo bereits Unkraut zwischen den Platten hervorwuchs), und oben schaute Roland über den Zoo und den Garten zurück. Von hier aus konnten sie mühelos den Kreis sehen, den der Zug fuhr und der es Charlies Passagieren ermöglichte, die gesamte Begrenzung des Parks abzufahren. Jenseits davon wehte ein kalter Windstoß raschelndes Laub über den Gage Boulevard vor sich her.
    »So fiel Lord Perth«, murmelte Roland.
    »Und das Land erbebte im Donner«, fuhr Jake fort.
    Roland sah überrascht auf ihn hinab, so wie ein Mann, der aus einem tiefen Schlaf erwachte; dann legte er Jake lächelnd einen Arm um die Schultern. »Ich habe Lord Perth zu meiner Zeit gespielt«, sagte er.
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Schon bald sollst du davon hören.«
     
     

    4
     
    Nach der Treppe folgte eine Voliere voller toter exotischer Vögel; nach der Voliere eine Snackbar, wo (angesichts der Lage möglicherweise herzlos) der BESTE BUFALLOBURGER TOPEKAS angepriesen wurde; nach der Snackbar ein weiterer schmiedeeiserner Bogen mit einem Schild, auf dem BESUCHEN SIE DEN GAGE PARK BALD WIEDER ! stand. Dahinter lag die kurvige Steigung einer Zufahrt zum Highway. Darüber ragten deutlich die grünen Schilder auf, die sie zuerst von der anderen Straßenseite aus gesehen hatten.
    »Schon wieder Highwaysurfen«, sagte Eddie mit einer so leisen Stimme, dass man sie kaum hören konnte. »Gottverdammt.« Dann seufzte er.
    »Was ist Highwaysurfen, Eddie?«
    Jake glaubte nicht, dass Eddie antworten würde; als Susannah sich umdrehte und ihn ansah, wie er mit den Händen die Griffe ihres neuen Rollstuhls hielt, wandte Eddie sich ab. Dann drehte er sich wieder um, erst zu Susannah, dann zu Jake. »Das ist nichts Schönes. Nicht viel in meinem Leben war schön, bevor Gary Cooper kam und mich über die große Kontinentalscheide gezogen hat.«
    »Du musst nicht…«
    »Ist aber auch nichts Besonderes. Ein paar von uns haben sich versammelt – ich, mein Bruder Henry, normalerweise Bum O’Hara, weil der ein Auto hatte, Sandra Corbitt und vielleicht noch dieser Freund von Henry, den wir Jimmy Polio nannten –, und dann haben wir alle Zettel mit unserem Namen in einen Hut geworfen. Derjenige, den wir gezogen haben, war der… der Reiseführer, hat Henry immer gesagt. Er – sie, wenn es Sandy traf – musste nüchtern bleiben. Jedenfalls relativ. Alle anderen haben sich total die Birne zugeballert. Dann haben wir uns alle in Bums Chrysler gequetscht und sind die I-95 rauf nach Connecticut gefahren, oder den Taconic Parkway in den Staat New York… nur haben wir ihn immer Catatonic Parkway genannt. Wir haben Creedence oder Marvin Gaye oder vielleicht auch die Greatest Hits von Elvis im Kassettenrecorder angehört.
    Nachts war es besser, am besten bei Vollmond. Manchmal sind wir stundenlang rumgefahren und haben die Köpfe zu den Fenstern rausgestreckt wie Hunde, wenn sie im Auto mitfahren, haben zum Mond raufgesehen und nach Sternschnuppen gesucht. Das haben wir Highwaysurfen genannt.« Eddie lächelte. Es sah gequält aus. »Ein reizendes Leben, Leute!«
    »Hört sich irgendwie lustig an«, sagte Jake. »Nicht das mit den Drogen, meine ich, sondern nachts mit Kumpels herumzufahren, den Mond anzuschauen und Musik zu hören… das hört sich klasse an.«
    »War es an sich auch«, sagte Eddie. »Auch wenn wir so zugedröhnt waren, dass wir uns eher auf die Schuhe gepisst hätten als in die Büsche, war es klasse.« Pause. »Das ist ja das Schreckliche daran, kapierst du das nicht?«
    »Highwaysurfen«, sagte der Revolvermann. »Also dann, tun wir es.«
    Sie verließen Gage Park und überquerten die Straße zur Auffahrt.
     
     

    5
     
    Jemand hatte etwas mit Farbe auf beide Schilder an der Aufwärtskurve der Rampe geschrieben. Auf das Schild mit der Aufschrift S T . L OUIS