Der Dunkle Turm 6 - Susannah
Gormenghast, mein Ich-weiß-nicht-was sein. Zweiundzwanzig zu sein hat den Vorteil, dass man garantiert nie zu wenig Ehrgeiz hat. Aber ich habe nicht lange gebraucht, um zu erkennen, dass diese Geschichte einfach zu groß für mein kleines Gehirn war. Zu… ich weiß nicht… ausgefallen? Na ja, dieses Wort passt so gut wie jedes andere, finde ich. Außerdem«, fügte er trocken hinzu, »habe ich das gesamte niedergeschriebene Grundgerüst verloren.«
»Was haben Sie?«
»Klingt verrückt, nicht? Aber die Schriftstellerei kann eben ziemlich verrückt sein. Wissen Sie, dass Ernest Hemingway einmal ein ganzes Buch mit Kurzgeschichten im Zug verloren hat?«
»Wirklich?«
»Wirklich. Er hatte keine Zweitschrift, keine Durchschläge. Einfach poff, weg. So ähnlich ist’s mir auch ergangen. In einer ziemlich feuchten Nacht – vielleicht war ich auch mit Meskalin zugedröhnt, das weiß ich nicht mehr –, habe ich ein vollständiges Grundgerüst für dieses fünf- bis zehntausend Seiten starke Fantasy-Epos geschrieben. Es war ein gutes Exposé, glaube ich. Hat dem Ganzen etwas Form gegeben. Etwas Stil. Und dann habe ich’s verloren. Wahrscheinlich ist es hinten von meinem Motorrad runtergeflogen, als ich aus irgendeiner gottverdammten Bar zurückgekommen bin. So was war mir noch nie passiert. Im Allgemeinen gehe ich mit meiner Arbeit ziemlich sorgfältig um.«
»Mhm«, sagte Eddie und überlegte, ob er fragen sollte: Sind Ihnen ungefähr zu der Zeit, als Sie das Exposé verloren haben, irgendwelche Kerle in grellen Klamotten aufgefallen – Kerle von der Art, die protzige Wagen fahren? Niedere Männer, um es auf den Punkt zu bringen? Irgendjemand mit einem roten Mal in der Stirnmitte? Das wie ein kleiner Kreis aus Blut aussieht? Kurz gesagt, irgendwelche Anzeichen dafür, dass Ihnen jemand Ihr Exposé entwendet haben könnte? Irgendjemand, der Interesse daran haben könnte, dafür zu sorgen, dass Der Dunkle Turm nie zu Ende geschrieben wird?
»Kommen Sie, gehen wir in die Küche rüber. Wir müssen palavern.« Eddie wünschte sich nur, er wüsste, worüber sie palavern sollten. Jedenfalls mussten sie es hinkriegen, was immer es war, weil das hier die reale Welt war, in der es keine zweiten Chancen gab.
7
Roland hatte keine Ahnung, wie man die komplizierte Kaffeemaschine auf der Küchentheke befüllte und danach anstellte, aber auf einem der Regale fand er eine verbeulte Kaffeekanne, die sich nicht sonderlich von der unterschied, die Alain Johns einst, als die drei Jungen nach Mejis gekommen waren, um dort Vieh zu zählen, bei seinen Gunna gehabt hatte. Sai Kings Herd funktionierte elektrisch, aber jedes Kind hätte herausbekommen können, wie man die Kochplatten einschaltete. Als Eddie und King in die Küche kamen, begann das Wasser bereits zu kochen.
»Ich selbst trinke keinen Kaffee«, sagte King und ging an den Eisschrank (wobei er einen weiten Bogen um Roland machte). »Ich trinke sonst auch vor fünf Uhr abends kein Bier, aber ich glaube, heute werde ich eine Ausnahme machen. Mr. Dean?«
»Kaffee genügt mir.«
»Mr. Gilead?«
»Ich heiße Deschain, Sai King. Ich trinke ebenfalls Kaffee, sage Euch meinen Dank.«
Der Schriftsteller öffnete eine Bierdose, indem er sie mit dem oben angebrachten Ring aufriss (eine Erfindung, die Roland oberflächlich clever und fast schwachsinnig verschwenderisch erschien). Die Bierdose zischte kurz, dann breitete sich der angenehme Duft
(commala-come-come)
von Hefe und Hopfen aus. King leerte mindestens die halbe Dose mit einem einzigen Schluck, wischte sich Schaum aus dem Schnurrbart und stellte die Dose dann auf die Theke. Er wirkte weiterhin blass, war aber anscheinend gefasst und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Der Revolvermann fand, dass sich der Mann recht gut hielt, zumindest vorläufig. War es möglich, dass King im hintersten Winkel von Kopf und Herz mit ihrem Besuch gerechnet hatte? Hatte er auf sie gewartet?
»Ihr habt eine Frau und Kinder«, sagte Roland. »Wo sind sie jetzt?«
»Tabbys Eltern leben nördlich von hier in der Nähe von Bangor. Meine Tochter hat die letzte Woche bei Nanna und Poppa verbracht. Tabby ist vor einer Stunde mit unserem Jüngsten – Owen, er ist noch ein Baby – dorthin aufgebrochen. Meinen zweiten Sohn Joe soll ich in…« Er sah auf seine Uhr. »… in ungefähr einer Stunde abholen. Ich wollte noch etwas fertig schreiben, deshalb benutzen wir heute beide Autos.«
Roland dachte darüber nach. Das alles
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