Der Dunkle Turm 6 - Susannah
konnte stimmen. Und es war fast sicher Kings Art, ihnen mitzuteilen, falls ihm etwas zustoße, werde er sehr bald vermisst werden.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass das alles wirklich passiert. Habe ich das schon oft genug gesagt, um lästig zu sein? Jedenfalls gleicht es zu sehr einer meiner Storys, um real sein zu können.«
»Zum Beispiel Brennen muss Salem«, schlug Eddie vor.
King zog die Augenbrauen hoch. »Den Roman kennen Sie also? Gibt es da, wo immer Sie herkommen, etwa Bücherclubs?« Er kippte sein restliches Bier. Er trinkt, dachte Roland, wie ein Mann, der ein Talent dafür besitzt. »Vor ein paar Stunden hat’s ganz weit drüben jenseits des Sees Sirenengeheul und eine riesige Rauchsäule gegeben. Die konnte ich von meinem Arbeitszimmer aus sehen. Ursprünglich dachte ich, das ist bestimmt nur ein Grasbrand, vielleicht in Harrison oder Stoneham, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Hat das irgendwas mit euch zu tun gehabt, Jungs? Das hat es, oder nicht?«
»Er schreibt darüber, Roland«, sagte Eddie. »Oder hat’s jedenfalls getan und ein vollständiges Grundgerüst dafür entwickelt. Er sagt, dass er damit aufgehört hat. Aber der Roman heißt Der Dunkle Turm. Also weiß er Bescheid.«
King lächelte, aber Roland fand, dass der Mann zum ersten Mal wahrhaft und zutiefst erschrocken aussah. Das heißt, wenn man von dem ersten Augenblick absah, in dem er um die Hausecke gekommen war und sie gesehen hatte. Als er seine Schöpfung vor sich gesehen hatte.
Bin ich das wirklich? Seine Schöpfung?
Das Ganze fühlte sich ebenso falsch wie richtig an. Das Nachdenken darüber bewirkte aber nur, dass Roland der Kopf schmerzte und der Magen erneut rebellieren wollte.
»›Er weiß Bescheid‹«, sagte King. »Mir gefällt nicht, wie das klingt, Jungs. Wenn in einer Story jemand Er weiß Bescheid sagt, lautet die nächste Zeile meistens Wir müssen ihn umlegen.«
»Glaubt mir, wenn ich Euch etwas versichere«, sagte Roland. Er sprach mit großem Nachdruck. »Euch umzubringen wäre das Letzte, was wir tun wollten, Sai King. Eure Feinde sind unsere Feinde, und alle, die Euch auf Eurem Weg weiterzuhelfen bereit sind, sind unsere Freunde.«
»Amen«, sagte Eddie.
King öffnete den Eisschrank und nahm sich ein weiteres Bier. Roland sah in dem Kasten sehr viele Dosen, die in frostiger Habtachtstellung dastanden. Mehr Bierdosen als sonst etwas. »In diesem Fall«, sagte er, »sollten Sie mich lieber Steve nennen.«
8
»Erzählt uns die Geschichte, in der ich vorkomme«, forderte Roland ihn auf.
King lehnte so an der Küchentheke, dass sein Kopf von einem Sonnenstrahl beschienen wurde. Er trank einen Schluck Bier und dachte offenbar über Rolands Aufforderung nach. Dabei sah Eddie es zum ersten Mal ganz schwach – vielleicht als Kontrast zum Sonnenlicht. Einen staubigen schwarzen Schatten, der den gesamten Mann einhüllte. Undeutlich. Kaum sichtbar. Aber vorhanden. Wie das Dunkel, das man hinter Dingen versteckt sah, wenn man flitzen ging. War das die Erklärung dafür? Eddie glaubte es nicht.
Kaum zu sehen.
Aber da.
»Also«, sagte King, »ich kann eigentlich nicht besonders gut Geschichten erzählen. Das klingt vielleicht paradox, ist es aber nicht, aus diesem Grund schreibe ich sie nämlich nieder.«
Redet er wie Roland oder wie ich?, fragte Eddie sich. Er konnte es nicht genau sagen. Erst viel später erkannte er, daß King wie sie alle redete – sogar wie Rosalita Munoz, Pere Callahans Haushälterin in der Calla.
Auf einmal hellte sich die Miene des Schriftstellers auf. »Was haltet ihr davon, wenn ich mal nachsehe, ob ich das Manuskript finden kann? Im Keller habe ich vier oder fünf Kartons mit geplatzten Storys. Der Dunkle Turm müsste eigentlich dabei sein.« Geplatzt. Geplatzte Storys. Eddie gefiel überhaupt nicht, wie das klang. »Ihr könntet dann ein bisschen darin herumlesen, während ich meinen Kleinen abhole.« Er grinste und ließ dabei große, schiefe Zähne sehen. »Vielleicht seid ihr ja nicht mehr da, wenn ich zurückkomme, und ich kann dann daran arbeiten, mir einzureden, euch nie gesehen zu haben.«
Eddie sah zu Roland hinüber, der kaum merklich den Kopf schüttelte. Auf dem Herd blinkte der erste Tropfen Kaffee am Glasdeckel der Kaffeekanne.
»Sai King…«, begann Eddie.
»Steve.«
»Gut, also Steve. Wir sollten diese Sache rasch zu Ende bringen. Lassen wir Vertrauensfragen einmal beiseite, haben wir’s verdammt eilig.«
»Klar, klar,
Weitere Kostenlose Bücher